Ich kenne das leider auch zu gut. Gerade unter älteren Kollegen sind die NKs noch ein absolutes Privileg anstatt einer Verpflichtung ggü. dem Patienten.
Auch von mir Danke an alle, ich finde die Diskussion sehr spannend.
Nun ja, meiner Meinung nach (und der meiner Rettungsorganisation - da gibts sogar ein Rundschreiben, wo das explizit drinsteht) sind Notfallkompetenzen ganz „normal“ anzuwenden, wenn sie zum Wohle der Patient:innen sind - verpflichtend. Ob wir die Rechtslage jetzt als „Garantenstellung“ oder „Hilfeleistungspflicht“ bezeichnen… egal.
Eine andere Rettungsorganisation sagt, dass die Anwendung optional sei.
Da können wir jetzt wiederum fleißig Rechtsmeinungen sammeln (ich will das nicht abtun - das ist schon interessant). Aber fix wissen tun wirs erst, wenn es zu einem Urteil kommt, weil ein Patient klagt, bei dem Notfallkompetenzen nicht angewendet wurden.
Das wiederum halte ich für nicht sehr wahrscheinlich.
Es gab einmal in Österreich einen Rettungsdienst, da musste man beim Eintritt als fertiger NKA/NKV unterschreiben, dass man seine Notfallkompetenzen nicht anwendet und anerkennt, dass sie „nicht freigegeben“ sind. Das wurde dann doch recht bald wieder abgeschafft, weil ein juristischer Aufstand passiert ist. Aber wiederum: Publikationen/Expert:innenmeinungen haben einfach nur diese Organisation umgestimmt. Tatsächliche Rechtsprechung gibt es keine.
Warum ich hier so einen langen Monolog über vielleicht unwichtige Kleinigkeiten halte? Nun, weil es mir wichtig ist, dass wir gerade bei diesen Themen nicht versuchen, mit der Gesetzeskeule schwingend absolute Wahrheiten zu verkünden, sondern dass wir uns bewusst sind, dass fast alles auf Meinungen und Interpretationen beruht und diese wiederum vom Kontext des realen Lebens abhängen. Und wenn wir als Notfallsanitäter:innen weiterhin beweisen, dass wir unseren Job gut machen, dass wir… Allergien und Schmerzen… in großer Zahl weitgehend komplikationslos behandeln können, dann wird das irgendwann völlig unumstritten sein.
Und dann wird irgendwann wer draufkommen, dass man das SanG da wohl an die Realität anpassen könnte. Die Notfallkompetenzen stehen nicht im SanG, weil sich 2002 jemand gedacht hat, dass es gut wäre, wenn NFS ab sofort Zugänge legen würden, sondern weil es jahrelang gut gemacht wurde.
„Einschränkungen dahingehend, dass die Organisation die Anwendung der allg Notfallkompetenzen zur Gänze untersagt, sind als strafrechtswidrige Weisungen nicht einzuhalten, zumal mit einer derartigen Weisung verfügt werden würde, dass in Notsituationen – trotz rechtlicher und tatsächlicher Möglichkeit – eine Lebensrettung zu unterbleiben hat.“ schreibt Halmich dazu. Dem schließe ich mich an…
Ich war vor 2002 noch nicht im RD tätig, aber es wurden von Sani in grosser Anzahl vor 2002 eigenverantwortlich Zugänge gelegt und man dachte sich „ach schreiben wir das ins Gesetz weil es ist ja eh schon Praxis“?
Falls ja, wo sind die nach 2002 hin?
Als juristischer Laie sehe ich keinen Unterschied ob ich eine indizierte Regel- oder Notfallkompetenz unterlasse. In beiden Fällen habe ich mit möglichen juristischen Problemen zu rechnen und dazu gibt es ja Urteile, also wenn Sani nicht sorgfältig arbeiten und Massnahmen unterlassen?
Gibt es diese Urteile wirklich? Ich möchte beim besten Willen nicht glauben, dass mir meine Hiorg zu Straftaten rät. Das würde mich jetzt schon schockieren.
Diese Urteile kenne ich auch nicht… Die rezenteste Unterlassung, die zu einem Urteil führte, das ich kenne, war der Malaria-Fall, aber das hat nichts mit der Thematik zu tun.
Das möchte ich nicht beurteilen. Es hat aber nichts mit der Existenz von Urteilen zu tun, ob das strafbar wäre (Urteile bringen nur etwas mehr Gewissheit). Ich denke aber jedenfalls, dass eine solche Weisung rechtlich höchstproblematisch ist.
Urteil wo ein Sanitäter nicht dem Sorgfaltsmassstab entsprochen haben und wegen fahrlässiger Toetung verurteilt wurden? War da nicht was 2022 in der Steiermark?
Ich beziehe mich hier auf die uns auferlegte Sorgfaltspflicht und unterscheide nicht weiter in Regel- oder Notfallkompetenz. Fuer einen NFS NKV waere aus meiner Sicht ja auch ein höherer Sorgfaltsmassstab anzusetzen, deswegen verstehe ich nicht die Argumentation die Anwendung der Notfallkompetenz, sofern die Indikation besteht, sei eine Kann Bestimmung und kein Muss im Rahmen der Sorgfalt
Allgemeine Pflichten
§ 4.
(1)Sanitäter haben ihre Tätigkeit ohne Ansehen der Person gewissenhaft auszuüben. Sie haben das Wohl der Patienten und der betreuten Personen nach Maßgabe der fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zu wahren.
Ob dir deine Organisation zu einer Straftat ratet möchte ich ebenfalls nicht beurteilen, wissentlich kann ich mir das auch nicht vorstellen. Vielleicht willst du nachfragen in welchem Kontext das zu sehen ist?
Bei der Entscheidung geht es um eine Belassung. Das ist aus justizieller Sicht so ziemlich der einzige Fall, bei dem ein Sani tatsächlich aufpassen sollte, wobei die Belassungen, die gerichtsanhängig wurden, waren echt jeweils a blöd Gschicht’ oder sind dann in weiteren Instanzen in einen Freispruch gemündet.
Als Sani braucht man deswegen (und auch generell) nicht allzu viel Angst vor dem Strafrichter zu haben, da häufig der Kausalitätsbeweis durch die Anklage misslingt. Ist die Erfüllung des Tatbestands [z.B.: Tod] wirklich auf ein Fehlverhalten des Sanis zurückzuführen? Kann die Kausalität nicht bewiesen werden, muss im Zweifel für den Angeklagten freigesprochen werden. Außerdem: Die Rettung hat den Patienten so ca. 30 min (am Land ggf eine Stunde) gesehen, während der Patient nachher bis zum Tod wochenlang im Spital gelegen ist - wo wird man eher den Fehler suchen und wo ist mehr Geld für Schadenersatzforderungen zu verorten?
Danke herzlich für das Statement. In meiner Heimatorganisation ist die Drohung mit dem Strafrichter (besonders unter „goldbekeksten“ FÜKs) ja ein geflügeltes Wort ohne jede rechtliche Grundlage.
Ja bei uns hat es das in der Ausbildung auch immer geheißen: „Ihr steht’s mit einem Fuß im Häf’n“. Das ist völlig unnötige Angstmache (wer Angst hat, macht erst Recht Fehler)!
Dennoch sollte man nie den Übermutigen spielen, man habe nur die folgenden Faktoren im Hinterkopf:
- Ausbildungsdauer (hier/woanders, im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen)?
- Haftpflichtversicherungsschutz?
- Gerichtsgutachter = Ärzt:innen!
- Keine Lobby/Standesvertretung à la Ärztekammer o.ä.!
- …
Wenn man aber das tut, was man kann (können muss), muss man keine Angst haben. Da hilft uns der (ensprechend der Ausbildungsdauer) geringe Sorgfaltsmaßstab. Wenn man den Helden spielt, ist es immer schwierig…
Man darf aber keine Scheu haben, Hilfe nachzufordern, wenn es zu viel wird (man braucht halt leider eine dickere Haut gegenüber Notärzt:innen bei Meldungen à la „Wofür bin i jetzt do??!1!11“) und im Zweifel den:die Patient:in hospitalisieren (manchmal habe ich ein bisschen das Gefühl, das - insbes. frische NFS - eine durchgeführte Belassung ein bisschen als Heldentat zur Rettung des Gesundheitswesens oder gar als Machtspiel sehen (die Übertreibung ist bewusst in Kauf genommen…). Das ist nicht ungefährlich.
… und ein bisschen juristisches Basiswissen/Grundverständnis schadet sowieso nie
Dieses „wenn du NK hast, musst du“ - das ist ein Evergreen der leider IMHO oft falsch verstanden und falsch ausgelegt wird. Das muss doch differenzierter betrachtet werden.
Nein, kein NKV muss einfach Dinge tun weil er es kann (können sollte).
Die Garantenstellung verlangt das Zumutbare und in der Situation absolut Notwendige zu tun.
zur Notwendigkeit der AML2 Medis: Maßnahmen zur unmittelbaren Abwehr von Gefahren … ,
soweit das gleiche Ziel durch weniger eingreifende Maßnahmen nicht erreicht werden kann.
Das ist immer eine Abwägung: braucht der Pat. die Maßnahme JETZT, oder reicht es uU. mit anderen Maßnahmen wie Transport ins KH über 10min oder warten auf das Eintreffen des Notarztes zu warten. Nur wenige Indikationen in der AML2 sind ziemlich absolut, wie zB. Anaphylaxie.
Diese Entscheidung muss der NKV vor Ort, mit seinem situativen Wissen, treffen.
Alle später dazu gekommenen Erkenntnisse in der Nachbetrachtung sind irrelevant.
Der Maßstab für eine allfällige richterliche Beurteilung ist der durchschnittlich ausgebildete Sanitäter des gleichen Ausbildungsstandes. Was von dem zu erwarten gewesen wäre.
Die „Pflicht“ endet, sobald du einen der Punkte unten glaubhaft argumentieren kannst:
- „gelindere Maßnahmen“ wie Transport aus deiner Betrachtung damals ausgerecht haben, bzw. eure Nutzen/Risiko Abschätzung eben ergeben hat dass die NK Anwendung jetzt nicht zwingend ist.
- der Pat. ein Venenbild hatte bei dem kein Zugang möglich war (idealerweise hast du es 2x probiert)
- deine Abschätzung „kann ich das jetzt sicher anwenden“ aufgrund deiner „durchschnittlichen“ Routine negativ war
- das Team nur ein 2er Team ist, die Basismassnahmen noch nicht abgearbeitet sind, und so zB. bis zum Eintreffen der weiteren Kräfte nur eine BLS Rea möglich war
- dir die Anwendung aus anderen Gründen nicht zumutbar war.
und du natürlich die erforderliche Eskalation (wie NEF Nachforderung) zeitgerecht gemacht hast.
unterm Strich, liebe NKVs:
lasst euch da nicht in die Enge treiben mit dem „ich Muss“ Gedanken.
Ja, ihr solltet eurer Wissen und eure Sicherheit selber ausbauen, euch mit den Indikationen und Medikamenten ausführlich beschäftigen, Routine erwerben wo immer es geht - auch mal wieder für ein Skill-Training in ein Krankenhaus gehen.
Nein, ihr solltet euch nicht auf Abenteuer einlassen in Anwendungen bei denen ihr unsicher seid, ihr nicht absolut überzeugt davon seid dass der Pat. jetzt genau das braucht, bzw. ihr es in der konkreten Situation nicht abliefern könnt.
Seht zu, dass ihr dieses Level „ich fühle mich nicht nur sicher zur Anwendung, sondern bin es objektiv betrachtet auch“ erreicht. Seid hier bitte selbstkritisch, tauscht euch mit KollegInnen zu euren Fällen aus, insbesondere zur Enscheidungsfindung „anwenden oder nicht“, und strebt an dass ihr das Niveau zur sicheren Anwendung erreicht - die NKV Prüfung ist dafür erst der Startschuss!
Natürlich. Man sollte bei der Diskussion dazusagen, dass das aus meiner Sicht eher theorethische Probleme sind als praktisch relevante.
Wie du sagst: in 99% der Fälle wird einem als NKV nichts passieren wenn man seine NKs nicht anwendet (v.a. weil es meistens gute Gründe dafür gibt). Wenn man aber vor einem komatösen Patienten mit Hypoglykämie steht und in den 20min bis zum Eintreffen des NEF nicht einmal versucht einen Zugang zu etablieren finde ich das zugegeben schwierig…
Danke für die Ausführungen, das ist alles natürlich alles im Grunde total richtig und ist das was ich mit dem Vorliegen der Indikation und der „gesetzlichen Voraussetzungen“ meine. Gerade und unter anderem beim Beispiel CPR ist es kein „Muss“ sondern ein „Nicht-Dürfen“ - es ist eh klar: ein No-flow/hands-off wegen Zugang ist contra legem artis und daher falsch.
Es gilt immer in der präklinischen Notfallmedizin immer ein „So viel wie nötig und so wenig wie möglich“ (fällt unter „Verhältnismäßigkeit“) und zwar für alle Sanis, z. B.:
Wenn ein COPD-Patient im Liegen schlecht sättigt und sich nach Aufsetzen soweit stabilisieren würde, dass er keinen Sauerstoff braucht, probiere ich es (und jede:r ab RS) auch erst mit Aufsetzen. Wenn er das nicht toleriert, weil er etwa zudem ein Lumbago hat oder gar immo-pflichtig isr, muss man O2 (und ggf. Medis) geben.
Und was @Tragsesselmeister sagt, ist ebenso genau richtig und widerspricht deinen Ausführungen grundsätzlich auch nicht. Ich schließe mich dem jedenfalls insofern an, als das ein Musterbeispiel wäre, wo man einen Zugang (sofern zumutbar/möglich) probieren müsste.
Es ist aber ein, nicht nur rechtlicher, Unterschied ob ich etwas bewusst unterlasse obwohl ich eigentlich müsste, oder halt der Versuch der Venenpunktion scheitert, oder ich mit gelinderen Mitteln ein Auslangen finde.
Das Argument „wenn du dir nicht sicher bist“ sehe ich persönlich schon schwieriger. Da muss man schon hinterfragen woher kommt die Unsicherheit. Wurde hier der persönlichen Fortbildungspflicht (Sorgfalt) nachgekommen oder ist sich derjenige unsicher weil er sich einfach nicht ausreichend fortbildet?
Wer nicht genug Routine hat die Behandlungsleitlinien sicher anzuwenden muss an seiner Routine arbeiten. Was kann da der Patient dafür jetzt einen Sani mit mangelnder Routine vorzufinden?
Ich glaub, niemand hier hat „du musst einen Zugang machen ohne Rücksicht auf Verluste“ gefordert.
Nur eine allgemeine Einstellung, grundsätzlich keine Notfallkompetenzen anzuwenden, solange der Patient nicht kurz vor dem Sterben ist - und ihm damit z.B. eine Schmerztherapie vorzuenthalten, die kann vielleicht rechtlich gerade noch durchgehen. Moralisch ist das unter aller Sau und es widerspricht einfach diametral einem professionellen Berufsethos.
Es hat damit zu tun dass das Können und die Sicherheit nicht plötzlich in der NKV Ausbildung beginnt. Ausbildung ist einfach viel zu minimalistisch dafür.
Ja, man kann argumentieren dass die „persönliche Fortbildungspflicht“ allumfassend ist, quasi: geh so lange üben bis alles sitzt. Entspricht aber der Realität bei den „durchschnittlichen NFS/NKV“ nicht.
Daher: unsicher, weil trotz Nutzung aller vorgesehenen Ausbildungungen und Fortbildungen und Dienstausübungen nicht ausreichend routiniert. Das ist eine Realität. Ein „regelhafter“ NKV wird eine gewisse Profissency erreichen, aber nicht überall sicher anwenden können.
Bitte nicht als Freibrief verstehen „lass es einfach sein wenn unsicher“.
Und ja, Schmerztherapie sollte man auch nicht einfach weglassen!
Mir ging es nur drum das „du musst, wenn wirklich indiziert“ nicht auf ein „du musst“, ganz ohne Kontext, zu verkürzen.
Dann orte ich hier ein Ausbildungsthema, welches besser an anderer Stelle diskutiert werden sollte, wenn nach Abschluss der NKV Ausbildung das Kompetenzlevel Beherrschen nicht erreicht wird.
Eine Anmerkung (siehe auch oben): Wenn ein durchschnittlicher NKV angesichts der kurzen Ausbildungsdauer nicht oder schlecht stechen kann, dann wäre genau dieser durchschnittliche NKV die Maßfigur, anhand derer sich das Recht orientiert. Wenn aber (und das denke ich) ein gewisser Teil an NKV mangels weiterführender Übung nicht stechen kann (z.B. Ortstelle Gigritzpodschn am Walde mit einem Nachtdienst im Monat), es aber bei Ende des Praktikums/zur Prüfung einigermaßen konnte, dann ist er nicht maßgeblich. Seine Unterlassung wäre, wenn er bei entsprechender Indikation (nehmen wir das Hypobeispiel von oben) wegen Unsicherheit nicht sticht, unter Umständen strafbar. Dass jede:r Sanitäter:in signifikante Defizite bei sich selber suchen und diese dem entgegenwirken sollte (z.B. mittels eines Auffrischungspraktikums - diese Idee halte ich für sehr gut und ich hoffe, dass die KHs hier auch Plätze vergeben), kann einem erwachsenen Menschen schon zugemutet werden. Ein NKV, der nicht stechen kann, sollte besser nicht mehr fahren oder sich entsprechend auffrischen - oder BKTW fahren…
Eine (noch) inoffizielle Ankündigung:
Der TeleNA NÖ wird auch das Burgenland versorgen. Genutzt darf das System nur von NFS werden