Telenotarzt Niederösterreich

Ich als Jurist genieße den juristischen Austausch in diesem Thread sehr. Manche von euch zeigen ein gutes Gespür für rechtliche Argumentation! Kompliment! Nun zur Sache:

Wortlaut / § 4 SanG
§ 4 SanG verlangt lediglich, „nötigenfalls […] ein Notarzt[mittel] anzufordern“. Nach reinem Wortlaut (wichtigste Auslegungsmethode) könnte man annehmen: Wenn ein Schmerz nach fachlicher Einschätzung durch Sani z. B. mit Penthrop oder Novalgin behandelbar ist, besteht keine Notwendigkeit für einen Notarzt (es reicht ein NFS/NKx). Entsprechendes gilt z. B. für Hypoglykämien, bei denen nach Glukosegabe eine rasche Besserung zu erwarten ist (Vorsicht, wenn die Sache nicht so klar ist).

Tätigkeitsgrenzen und Nachforderungen
Gesetzesmaterialien und Fachliteratur – in der juristischen Auslegungsmethodik gleichwertig zur Judikatur (in der Praxis zählt am Ende natürlich das Urteil) – verweisen auf die Grenzen der Tätigkeitsbilder. Diese schließen eine Nachforderung von NFS oder NKx jedoch nicht aus. § 10 SanG sieht ausdrücklich vor, dass Notfallsanitäter:innen auch ohne ärztliche Begleitung für den Transport von Notfallpatient:innen zuständig sind. Für Maßnahmen im Rahmen der Regelkompetenz ist eine Nachforderung somit jedenfalls einmal unproblematisch.

Notfallkompetenzen (NK) und Garantenstellung
Bei NK handelt es sich nicht um ein „Kann“, sondern um ein „Muss“. Liegen Indikation und (gesetzliche) Voraussetzungen vor, ist die Anwendung verpflichtend. Die Garantenstellung verpflichtet dazu, in solchen Situationen tätig zu werden – unabhängig davon, wie man zum Einsatz kommt. Eine Nichtanwendung kann straf-, haftungs- und dienstrechtliche Konsequenzen haben!

Auslegung heute vs. vor über 20 Jahren
Gesetzesmaterialien suggerieren, dass NK ursprünglich als Überbrückung im notarztfreien Intervall gedacht waren. Aus dem Gesetz selbst lässt sich dies für mich nicht ableiten. Diese Sichtweise spiegelt jedoch nicht mehr die heutige Praxis wider (der erwähnte CA schwelgt wohl in alten Erinnerungen). In vielen Regionen (z. B. Wien, NÖ, Graz/MC) hat sich das System weiterentwickelt. Eine moderne Auslegung muss die tatsächlichen Versorgungsstrukturen berücksichtigen.

Lege artis und SOPs
Rechtskonformität hängt maßgeblich vom aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft ab („lege artis“), der in den SOPs abgebildet ist (hoffentlich…). Gibt es also SOPs, die unter bestimmten Umständen gezielte Nachforderungen von NFS oder NKx vorsehen (z. B. zur kurzfristigen Schmerzstillung bei Lumbalgie, denkbar auch zur BZ-Hebung bei Hypo), ist das rechtlich vertretbar – insbesondere wenn dies eine schnellere und effektivere Versorgung ermöglicht.

Haftungsrisiken durch Leitstellenintervention
Problematisch wird es, wenn die Leitstelle eine vom Team vor Ort veranlasste Notarztanforderung überstimmt oder durch Überreden ersetzt. In solchen Fällen könnten sowohl Sanitäter:innen als auch die Leitstelle bei dadurch entstandenen Behandlungsverzögerungen haften.

Wichtig!
Unstrittig bleibt: Bei vitaler Bedrohung sind sofort lebensrettende Maßnahmen zu setzen, und ein Notarzt ist unverzüglich zu alarmieren (§ 9 Abs 1 Z 4 und Abs 2 SanG).

LG

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