Fallbeispiel 02C01

Hallo,

Da ich gerade relativ viel Zeit und Langeweile habe und mir die letzten Fallbeispiele sehr gut gefallen haben. Wollte ich euch einen Fall präsentieren der mir im letzten Jahr zweimal in fast identer Form untergekommen ist.

Fallbeispiel Start:

Ihr steht mit eurem Rettungswagen auf einer Rettungsstation irgendwo im Gemeindegebiet einer österreichischen Stadt, über die Lautsprecher ertönt der allseits bekannte Ton welcher eine Ausfahrt verlautbart.

An diesem Tag fahren auf dem RTW:
Lenker: RS (NFS.i.A.)
Teamleiter: NFS/NKI
Assistent: RS (NFS.i.A.)

Es ist vormittags, leichter Nieselregen, das schnellsteintreffende NEF hätte eine Eintreffzeit von ungefähr 5-10 Minuten, ein NAH wäre genauso schnell, das nächstgelegene Spital ist ein Maximalversorger mitsamt ECMO.

Im Fahrzeug angekommen lest ihr folgendes am MDT:

Einsatzmeldung: 02C01 - Allergie/Kontakt mit giftigen Tieren
Atem- oder Schluckbeschwerden, m63j, „bekommt schlecht Luft“

Nach einer circa fünfminütigen Einsatzfahrt kommt ihr (alleine alarmiert, nur RTW) am Berufungsort an. Ihr steigt aus dem RTW und von einem Balkon eines anliegenden MFH wird euch zugerufen dass ihr euch beeilen sollt und die Person am Balkon den Rettungsdienst verständigt hat.

Eiligen Schrittes bewegt ihr euch mitsamt Rucksack, Monitor, Oxy-Pack, Absaugeinheit zur angegebenen Wohnung. Die Tür steht offen und als ihr die Wohnung betretet findet ihr folgendes vor:

Szenenüberblick:
Eine betroffene Person im Couchsessel in einem gepflegten Wohnzimmer, keine weiteren Auffälligkeiten,

Ersteindruck:
Männlich, ca. 60-70 Jahre alt, sitzend im Couchsessel, wach (fixiert RD mit den Augen beim Betreten des Wohnzimmers), Beide Wangen und die untere Lippe sind massiv geschwollen, Speichelfluss aus dem Mund (der Patient hat eine paar Stücke Küchenrolle vor sich, so dass er sich nicht mit dem Speichel antropft), keine anderen Körperflüssigkeiten ersichtlich, keine Zyanose, Hautkolorit wirkt aus der Ferne rosig, keine Blutungsquellen

Was sind eure nächsten Schritte? Welche Überlegungen stellt ihr an? Wie geht ihr vor?

Weiters Vorgehen selbstverständlich nach dem altbekannten ABCDE.
Wie imponiert der Patient sonst im Ersteindruck? Sichtliche Atemnot? Irgendeine spezielle Körperhaltung à la Kutschersitz? Offensichtlich Erbrochenes oder sonstige Körperflüssigkeiten?

Zu allererst und noch vor jeglichem ABCDE: Supra i.m. !!!

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Abcde

A - Gefährdet

—-> Allergen? Stich?

Wenn ja - sofort Adrenalin 500mcg i.m. (Epi Pen Erwachsene geht auch)

dann weiter BCDE

Venflon, Volumen, H1 Blocker

Reanimationsbereitschaft ggf. Adrenalin wiederholen wenn keine kurzfristige (5min) Besserung

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@Seewinkel interessant dass du Initial Supra i.m verabreichst obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist was der Auslöser für den Patientenzustand ist.
Aktuell war noch keine Rede von irgendeiner Anaphylaktischen Reaktion außer die Alarmierung…..

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Ich seh das genauso, wie es im Rdmed beschrieben wird. Im kleinsten Verdacht supra. Und die Alarmierung zusätzlich zur geschwollen Zunge reichen mir da komplett.

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Bin ich voll bei dir. Sich A) auf die Alarmierung verlassen und B) bei Schwellung im Gesichtsbereich, ohne irgendwie zu Hinterfragen, sofort Supra zu geben, halte ich für einen Fehler.
Obwohl man da fairerweise sicherlich stundenlang diskutieren könnte.

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Nachtrag:

DD: Angioödem - kann Histamin oder Bradykinin-assoziiert (hereditär, Medikamente) sein.

Beim Bradykinin-assoziierten helfen spezifische Medikamente wie das Firazyr®.

Ist in der Präklinik jedenfalls egal, IMMER Anaphylaxie Therapie (weil Killer!) bis zum Beweis des Gegenteils.

Wenn Patienten das öfter haben, es stabil is und man Nahe am KH wäre könnte man über schnellen Transport unter Hochdosis-O2 nachdenken.

Keine Frage, im Zweifel ist natürlich die Anaphylaxie zu therapieren. Die Situation im Fallbeispiel ist ja aber alleine deshalb eine „unklare Situation“, weil wir bisher nur minimalste Infos haben. Nach dem Motto könnte man ja allen Patient*innen zu Anfang der Behandlung erstmal Adrenalin geben.

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Allen mit geschwollen Lippen und einer Alarmierung wegen „giftigen Tier“ auf jeden Fall. Ja.

Das würde vielleicht manchen kritischen PeriArrest Patient:innen helfen und ein bisschen Zeit erkaufen. Jeder LLS= 1 bekommt den Epi Pen zur Begrüßung :sweat_smile:

Im ernst ich würde es auch sehr niederschwellig geben aber zumindest noch kurz mit den anwesenden klären was denn so kurz davor passiert ist.

Blöde Frage, aber wofür steht LLS?

Und klären: ja schon. Aber das passiert schon im ersten Satz: " Hallo wir sind vom Rettungsdienst. Was ist passiert? "

Looks Like Shit Score, ein nicht ganz ernst gemeinter Score. Hat zwei Werte. Ja und Nein

Ursprünglich auf die Notwendigkeit einer Transfusion in der Rettungsstelle von EMcrit geprägt.
Passt aber auch auf andere Blickdiagnostisch kranke Menschen

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Patient ist wach

Er gibt an dass seit gestern Abend seine Wangen und Unterlippe zunehmend anschwellen würden.

c - keine Hinweise auf eine kritische Blutung zu diesem Zeitpunkt

A - Wangen und Unterlippe massiv ödematös, Mundschleimhäute nicht gerötet, keine Anzeichen auf eine laryngeale Beteiligung der Schwellungen, keine Dysphonie, Patient kann normal schlucken

B - Atemfrequenz: 15/min, Atemzugsvolumen ausreichend, Atemmechanik normal, SpO2 unter Raumluft: 98%, Auskultation: Frei, kein inspiratorischer Stridor, auch nicht am Jugulum

C - Puls peripher gut tastbar, rhythmisch, Pulsfrequenz: 80/min, Haut warm rosig trocken, RR 135/90

D - GCS 15, ZOPS orientiert, Pupillen mittelweit rund, gleich weit, prompte Lichtreaktion direkt und indirekt.

E -
S- Seit gestern Abend zunehmende Schwellungen im Gesichtsbereich, laut Patient keine Allergenexposition, keine „neuen“ Nahrungsmittel konsumiert

A - laut Patient keine Allergien außer Hausstaubmilben

M - Ramipril

P - Arterielle Hypertonie

L - Letzte Mahlzeit gestern Abend gekochte Ostereier, Stuhl und Harn in den letzten Tagen unauffällig

E - laut Patient gab es kein besonderes Ereignis

R - keine Risikofaktoren

Eben. Supra früh antizipieren, evtl. sogar vorbereiten lassen, ja. Aber das dauert sowieso kurz. Und, da der Patient wach und nicht zyanotisch ist, wird wohl Zeit für ein rasches „Was ist passiert“ sowie ein quick and dirty ABC sein.

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Die Körperhaltung ist vorne übergebeugt, wirkt aber eher als wäre sie zum Zweck den Speichel besser ausspucken zu können als ein Einsatz der Atemhilfsmuskulatur

Ist das Ramipril potentiell neu oder nimmt er es schon länger? Wurden früher schon einmal ACE-Hemmer eingenommen?

Ramipril nimmt der Patient seit mehreren Jahren

Bin ich voll bei dir.

Zurück zum Fall. Einladen - fahren
Scheint keine rasche Dynamik zu haben und kein ABC Problem.
Nachdem ich jetzt kurz Firazyr® und Konsorten überflogen haben eher größeres KH, da dort vermutlich eher vorrätig.
Antizipierend noch überlegen wo mein O2 und dir Maske ist und wo das Skalpell liegt.

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ACE Hemmer - Angioödem kann auch nach Jahren auftreten.

Also Bradykinin-assoziiert - braucht Firazyr (manche geben TXA aber die Evidenz is schlecht).

Patient klinisch stabil.

Transport ad NFA (schonend, anstrengung vermeiden, 02 bei Bedarf).

Überwachung mindestens 24h - das kann mehr werden. Wenn es während des Transports/beim RD zunimmt die Beine in die Hand nehmen. Sowas willst ned präklinisch intubieren wenn es nicht unbedingt sein muss (am besten fiberoptisch-wach mit Manpower und HNO verfügbar).

Mehr kann man ned tun.

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