Fallbeispiel 02C01

@Seewinkel du hast zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anhaltspunkt darauf, da du mit dem Patienten oder den Angehörigen noch kein Gespräch geführt hast.
Könnte genauso eine Schwellung sein die durch eine vorhergehende Zahnbehandlung(Wurzelbehandlung etc.) ausgelöst wurde oder durch ein traumatologisches Ereignis.

Hier ohne eine Anamnese zumindest zu beginnen bzw. das ABC Schema durchzuführen sofort anfangen herumzudoktern ist meines Erachtens eher was für die Kinoleinwand als für den Notfallrettungsdienst.

Aber das ist nur meine Meinung, ich würds nicht so machen.:slight_smile:

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100 Punkte, war leider zu spät aber geht für mich ganz klar in die selbe Richtung!

Gerne mehr von solchen Fallbeispielen.

Wir haben dass damals wie folgt behandelt:

Patientenbeurteilung → V.a. ACE-Hemmer Angioödem oder Anaphylaxie Grad 1

Monitoring (4-Kanal-EKG, RR Interv., SpO2)

1mg Epinephrin inhalativ

großlumiger PVK + 500ml EloMel (langsam tropfend)

Zur Sicherheit die DD Anaphylaxie Grad 1 trotzdem sicherheitshalber antherapiert.
30mg Diphenhydramin
250mg Prednisolon

Gemäß S2k Anaphylaxie

Liegender Transport auf eine interne Überwachungsstation, dort in stabilem Zustand mit Verdacht auf ein ACE-Hemmer induziertes Angioödem mit DD Anaphylaxie Grad 1 an die diensthabende Oberärztin übergeben. Diese war mit unserem Management sehr zufrieden.

Ob dass der ideale Lösungsweg ist kann ich nicht sagen, so haben wir damals diesen Einsatz abgearbeitet.

Ich hoffe ihr hattet Freude beim grübeln :slight_smile:

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Gut gemacht! Danke für das Beispiel!

Danke für das Beispiel! :slight_smile:
Adrenalin rettet Leben - falls es doch eine Anaphylaxie gewesen wäre.

Genau.

AMAX4

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Dumme Frage von einem RS, aber warum habt ihr von einer i.M. Gabe abgesehen?
Waren die 1mg inhalativ zur Bekämpfung der Schwellung oder einer möglichen Anaphylaxie?

Dass das eine dumme Frage ist vergiss bitte wieder und ob du RS bist oder nicht ist irrelavant, der Blick über den Tellerrand ist dir deswegen nicht vorenthalten.

Ich zeig dir mal die Leitlinie Anaphylaxie, da sieht man es recht deutlich, dass eigentlich schon das Vernebeln und das Volumen nicht zwingend notwendig gewesen wären. Hätte ich auch tbh nicht gemacht. Klar, das ganze Zeug parat zu haben ist eine wirklich gute Idee.

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Von einer Epinephrin-Gabe habe ich deshalb abgesehen weil der Patient keines dieser folgenden Symptome hatte:

A - Uvulaschwellung, Dysphonie, Stridor, Larynxödem, Nasenausfluss
B - Dyspnoe, Obstruktionen der unteren Atemwege
C - Hypotonie, Schock, Bewusstseinstrübung oder Verlust, Tachykardie

(Das sind wichtige Unterscheidungsmerkmale um eine eine erstgradige Anaphylaxie (Angioödeme, Juckreiz, Flush, Urtikaria) von einer zweit und drittgradigen zu unterscheiden. Eine viertgradige ist durch einen Kreislaufstillstand gekennzeichnet)

Aufgrund dessen ist die Wahrscheinlichkeit dass der Patient eine zweit- oder drittgradige Anaphylaxie hat sehr gering in meinen Augen. (Eine i.m-Gabe von Epi ist bei Grad 1 nicht indiziert, sondern nur bei einer Grad 2&3 wenn sie die oben beschrieben Kriterien erfüllt. Da reichen natürlich einzelne ein Patient muss nicht alle diese Symptome erfüllen um eine i.m-Gabe zu verdienen).

Deshalb sollte man in diesem Setting so oder so egal ob Anaphylaxie Grad 1 oder ACE-Hemmer-Angioödem auf eine intramuskuläre Epinephrin-Gabe verzichten.

Epinephrin wird bei der Anaphylaxie eingesetzt, da es Blutgefäße verengt, dadurch auch die Permeabilität der Gefäßwände (Durchlässigkeit) verringert. Des Weiteren verursacht es eine Weitstellung der Bronchien und erhöht den Herzauswurf. (Das sind nicht alle Aufgaben von Epinephrin, aber die für die Behandlung einer Anaphylaxie relevantesten)

Das Epinephrin wurde inhalativ wegen der Atemwegsschwellung gegeben. Weil es mWn lokal auch dann wirkt wenn die Vasodilatation durch Bradykinin vermittelt wurde.

Grundsätzlich hätte man diesen Patient mit 0.5mg Epinephrin i.m vermutlich nicht umgebracht, es ist allerdings nicht besonders angenehm. „Harmlose“ Nebenwirkungen wären Schweißausbrüche, Palpitationen, etc. Epinephrin hat aber auch „ernsthaftere“ Nebenwirkungen, wie eine Begünstigung von Herzrhythmusstörungen zum Beispiel.

Deswegen sollte man vor einer solchen Gabe gut abschätzen ob sie auch indiziert ist.

Wenn du dich da genauer einlesen willst kann ich dir nur sehr die S2k Leitlinie zur Akuttherapie der Anaphylaxie empfehlen. (Das ist eine Leitlinie von einigen renommierten ärztlichen Gesellschaften aus den deutschsprachigen Raum, zum Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin)

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@123MOMO Das ist die Übersicht von der Leitlinie auf die ich mich auch beziehe. Danke fürs posten @eklass

Vielen Dank für die sachlichen und schnellen Antworten. Ich habe gefragt, da ich gemeint gehört zu haben, dass Adrenalin immer ab einer systemischen Reaktion indiziert ist. Wirklich Danke @eklass und @Rettungsrambo !

Das war natürlich auch überspitzt formuliert von mir. Klar wird kurz erhoben, was passiert ist, und warum man eigentlich da ist. Niemand wird ohne ein paar Worte zu wechseln ein Medikament verabreichen .

Ich würde trotzdem, und obwohl dieses wirklich spannende Fallbeispiel jetzt ganz anders ausgegangen ist, Supra geben.

Warum: Ich bin Sani und nicht Dr.House. Ich betreibe keine hohe medizinische Kunst, sondern arbeite nach Leitlinien. Ganz ehrlich ich hab null Ahnung von irgendwelchen seltenen Ödemen. Geb ich offen zu. In 99,9% der Fälle wird das aber eine Anaphylaxie sein. Alarmierung wegen Anaphylaxie, geschwollen Lippen…wenn du Hufe hörst, denk an Pferde, nicht an Zebras. Und ich habe schon persönlich gesehen, wie schnell es gehen kann, von geschwollen Lippen zu cant vantilate/cant intubate.

Mir ist lieber, einer von 100 bekommt unnötigerweise Supra, als 99 von 100 das Supra verzögert, weil ich vorher noch alles mögliche ausschließen will. Und dann hab ich immer noch nicht die eine Krankheit ausgeschlossen, die ich vielleicht nicht mal kenne.

Das ist aber meine persönliche Meinung für die ich mich gerne kritisieren lasse, und auch gerade stehe.

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Ergänzend sei hier noch auf die Mastzellen stabilisierende Wirkung von Adrenalin verwiesen, das damit auch quasi das Problem der Histamin Ausschüttung „behebt“.

Ein interessanter Fall, der mir in Erinnerung gerufen hat, dass das Angioödem in der Leitlinie auch steht. Das hatte ich nicht mehr auf dem Schirm.
Nichtsdestotrotz hätte ich glaube ich nicht die Grad I Therapie durchgeführt. Da abseits der Schwellung nicht ein Hauch eines Problems zu bestehen scheint.

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Die sagt aber: „Mach’s nicht“ in dem Fall.

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Jein

AWMF ist nicht gleich RK

Wenn der Kollege sagt, er hält sich an die Leitlinie und spritzt Supra, dann sprech ich ihn auch auf das an, was ich unter Leitlinie verstehe und nicht auf’s RK. Aber bitte, dann halt auf zum Rdmed…

… wo genau dasselbe drinnensteht.

Irgendwie ist das I-Tüpferl-Reiten in letzter Zeit nicht weit weg davon, olympisch zu werden…

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Danke für das Feedback. Ich versuche mal meinen Ansatz (den sicherlich nicht alle teilen werden) darzulegen: Für mich zählen die Lippen sehr wohl schon zu den Atemwegen. Eine Schwellung in diesem Bereich kann sich schnell auf die Schleimhäute bzw. Zunge ausbreiten. Deswegen ist für mich jeder Patient mit Schwellung (bei v.a. Anaphylaxie) in diesem Bereich als A kritisch anzusehen.

Wir vorher schon geschrieben: Mir hat der eine Patient mit geschwollen Lippen gereicht, der ganz normal mit mir gesprochen hat, und der 20 Minuten später auch durch Notkoniotomie nicht mehr zu retten war.

Und als Quelle die von dir bereits erwähnte „S2k-Leitlinie Akuttherapie und Management der Anaphylaxie“ angegeben ist…

Schau, es ist halt die Frage, wie viel man nebenbei nachdenken soll und will. Beim RK geht’s halt nach ABC Lebensgefahr ja/nein (während die LL da detaillierter nach Symptomen filtert)
entsprechend muss es in die Angabe und individuelle Einschätzung. Ist auch egal, denn unten steht ganz fett:

Die Arzneimittel dieser Behandlungsleitlinie bieten einen hohen Nutzen bei geringem Risiko. Bei unklaren Situationen soll im Zweifel die Anaphylaxie angenommen und therapiert werden. Das Risiko bei nicht therapierter Anaphylaxie ist wesentlich höher als das Risiko, die Arzneimittel dieses Algorithmus unnötig verabreicht zu haben.

Man kann natürlich sinieren, was wie wo und Leitlinie blabla, aber manche Patienten sind dann halt schwer bedient. Der übergeordnete Punkt ist: Im Zweifel Adrenalin

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Vielen Dank für den coolen und gut geschriebenen Fall.

Ich würde dir/euch hier gerne einen ähnlich gelagerten Fall von mir vorstellen, und euch drum bitten wie ihr gehandelt hättet:

Ihr sitzt im Flugzeug von Wien nach NYC, drei Stunden vor der Landung erst ein Aufruf nach einem Arzt, dann ein Aufruf nach „medizinischem Personal“.
Du meldest dich, stellst dich dem österr. Personal mit Ausweis als NKF/NKV vor.
Die bringen dich zu einem amerikan. Mann ca. 45 der höchst aufgeregt ist, es geht um ihn selber. Er fragt dich gleich „do you know what an angio edema is?“ das du beantwortest: „yes, is one diagnosed on you? Is it histamine related?“. Der Mann bestätigt dass er ein allergische AÖ hat. Er hat das Gefühl dass ihm der Mund zuschwillt, sein Arzt hat ihm ein Notfallkit mitgegeben: Antihistaminikum und Cortison in Tabletten, bereits eingenommen. Epipen, noch nicht eingesetzt. Er hatte das Personal berufen um Hilfe bei der Entscheidung ob er den Epipen auch noch einsetzen soll.

Der Pat. macht auf dich vordergründig einen sehr aufgeregten Eindruck. Die Hautfarbe ist normal rosig, kein Schwitzen, kein Ausschlag keine Quaddeln. Der Mundraum, Zunge, Rachen ist normal rosig und kein Hinweis auf Schwellung. Kein Juckreiz, nur das Gefühl der Enge.
Die Atmung ist etwas beschleunigt, die Lungen sind gut belüftet ohne patholog. Geräusche. Der Puls ist schnell und stark, Recap sehr schnell. Apparative Messung ergibt SpO2 100%, HF 140, RR 240/120.
Der Pat. hat auch keine Bauchschmerzen oder Stuhldrang, und auch keine subjective Atemnot.

Was macht ihr?
Zur Verfügung steht der eigene Epipen und das gesamte Doktor Kit inkl. der gängigen Notfallmedikamente und einer Art Hausapotheke von Baldrian Pillen bis Parkemed. (Ich habe im Skillset eines NKVs gedacht dabei.)
Ermutigt ihr den Pat. sich den eigenen Epipen zu setzen?