Alarmierung RD-33C7, Notarzt erforderlich, Verdacht auf Schlaganfall
Örtlichkeit: Rehazentrum
Alarmierung: KTW (2x RS) + NEF (1x NFS-NKV, 1x NA Anästhesie und Intensivmedizin, 1x NFS-Praktikantin)
Ihr werdet (KTW + NEF) in einen Raum geführt, wo eine adipöse Patientin (Mitte 30) ohne Vorerkrankungen oder Allergien ruhig auf der Trage liegt. Vorbestehende Medikation unklar. Eine Ärztin übergibt euch hektisch: Mitarbeiterin des Hauses, vor ca. 1h mit globaler Aphasie beobachtet worden. Diese nachwievor bestehend - die Patientin hat größte Anstrengung, Wörter zu bilden, scheint aber zu verstehen. Sonst keine Neurosymptome. Die Ärztin drückt euch ein EKG mit Sinusrhythmus in die Hand und erwähnt, dass der erste Blutdruck 190/100 mmHg betrug. Daraufhin habe sie in den letzten 15 Minuten 60 mg Urapidil i.v. verabreicht. Sie drängt darauf, dass die Patientin unverzüglich auf eine Stroke-Unit gehöre. Auf die Nachfrage, ob der RR seit Urapidil gemessen worden ist reagiert sie patzig und meint, dass das jetzt keine Rolle spiele und der Transport zu veranlassen ist um keine Zeit zu verlieren. Um die Situation zu deeskalieren entscheidest du dich, die Patientin unverzüglich in den KTW zu verbringen und dort ein eigenes Assessment durchzuführen.
Assessment im KTW:
A - frei
B - Eupnoe, SpO2 98% bei RL, vRG
C - RR 140/80, HF 80, Rekap < 2s, EKG SR bland
D - expressive Aphasie, Unmöglichkeit die oberen und unteren Extremitäten zu heben, BZ 125, KKT 35,7
E - adipös
Wie sieht dein Management als NKV aus (wenn kein Notarzt anwesend wäre). An die Notärzte: wie würde euer Management aussehen?
Gründliche Patienten- und Fremdanamnese nach SAMPLER OPQRST (DD: Infektion, Intoxikation, Psych, Migräne, St.p. Krampfanfall, Metabolische Verschiebungen)
Eine erneute und diesmal hoffentlich ruhiger verlaufende Befragung der Ärztin zu ihrer Untersuchung/Behandlung
Reassesment wenn Zeit vorhanden bis Eintreffen NA
Je nach Verdachtsdiagnose und Patientenzustand Load and go ad KH oder Rendezvous mit NEF bzw. Stay and play wenn sich der Patientenzustand verschlechtert bis Eintreffen NA.
Irgendwelche Hinweise auf ein wie auch immer geartetes Krampfgeschehen - wenn das noch erhebbar ist? Epilepsie bekannt? Irgendwelche passenden Medikamente mit, vielleicht wissen die Arbeitskollegen mehr?
In der Zwischenzeit würde ich beim APSS von 2 (anhand der o.a. Informationen) ein Stroke-Aviso veranlassen: parallel Monitoring (RR, HF, SpO2, 4-Kanal-EKG) und i.v.-Zugang herrichten.
Irgendwas sagt mir, dass das eine Stroke-Mimic-Geschichte wird, was nichts daran ändert, dass die Patientin eine Bildgebung und einen Neurologen benötigt.
Was bis jetzt noch nicht erwähnt wurde:
Wenn die Ärztin Urapidil i.v. gegeben hat, dann gibt es wahrscheinlich bereits einen Venenzugang. Kontrolle ob dieser Zugang intravasal liegt oder ob Paravasat sichtbar ist.
Dass 60mg Urapidil nicht zum Blutdruck passen.
Entweder stimmt nicht, dass 60mg gegeben wurden, oder es ging nicht in den Kreislauf des Patienten.
Die Parese aller Extremitäten kommt doch normalerweise im Verlauf der Krankheit. Müsste also was bekannt sein bei der Einrichtung. Wenns nicht als Vorerkrankung gelistet ist, würde ich das nicht als Arbeitsdiagnose in betracht ziehen.
Würde man so erwarten grundsätzlich, aber der Venenzugang hat einwandfrei funktioniert und mir sind die Ampullen gezeigt worden. Also das hat schon gestimmt, dass sie 60 mg Urapidil erhalten hat.
D.h. ihr konntet Blut aspirieren?
Ich hatte auch schon mal einen Zugang in der Ellenbeuge, der „einwandfrei“ zu laufen schien. Paravasat war auch nicht sichtbar. Erst nach 500ml EloMel wurde der Oberarm dick.
Wenn Urapidil nur wenig Wirkung zeigt, obwohl es im Kreislauf angekommen ist, liegt die Vermutung bzgl. zerebralem Geschehen mMn. nicht so schlecht.
Zugang lag am Handrücken, ein Paravasat nicht ersichtlich.
Babinski wurde nicht überprüft.
Hinweise auf Epi gab es auch nicht - sie wurde plötzlich mit Aphasie beobachtet und auffällig.
Wir sind uns also einig, dass ein neurologisches Problem vorliegt (Verdacht auf Insult). Doch nachwievor ist ein Punkt von großer Bedeutung, welcher bereits von einem Vorschreiber erwähnt worden ist und unmittelbaren Handlungsbedarf erfordert.
Hmm… Meinst du damit das weitere Vorgehen bzgl. Warten oder Load&Go mit Rendezvous?
Definitiv einladen und fahren. Rendezvous mit dem NEF und direkt zur Stroke.
Tetraplegie, Aphasie + kein ansprechen auf Urapidil deutet auf ein massives zerebrales Geschehen hin. Hirnstamm, etc. Aufgrund der normalen HF aber (noch) kein erhöhter Hirndruck?
Nein, etwas anderes ist gemeint. Ich warte ab ob es vielleicht jemand andere/r errät.
Natürlich ist Stroke absolut richtig. Die Tetraplegie habe ich nicht als echt abgekauft, sondern eher vermutet dass sie nicht versteht was wir von ihr wollten (beeinträchtigte Funktion des Sprachverständnisses iR des Vda Insult). Denn mitunter konnte beobachtet werden, dass sie sehr wohl Kraft in den Extremitätrn hatte und teils zB einen Arm kräftig in der Luft gehalten hat (zB bei Anlage RR-Manschette).
Blutdruckwerte bis 220 mmHg werden toleriert und als physiologische Reaktion auf das Akutgeschehen gewertet. Eventuell den Blutdruck mit einem Vasokonstriktor auf ~190 mmHg (wie am Anfang) heben?
Genau das ist die richtige Antwort auf die ich hinaus wollte! Wie bereits korrekt angeführt wurde wird im (fraglichen) Insultgeschehen bis zur Diagnostik eine permissive Hypertonie gewünscht, um die Penumbra ausreichend zu perfundieren. Die Penumbra ist Zellgebiet, das als „rettbar“ gilt. Die 60 mg Urapidil sind ein ärztlicher Behandlungsfehler mit möglichem resultierenden Patientenschaden und stehen im Widerspruch zur DGN Leitlinie „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“ 2021. Neben der Applikation von 1000 ml EloMel zur Verbesserung der Rheologie des Blutes verabreichte ich am Weg ins Spital insgesamt 1 mg (!) Phenylephrin i.v., um den RR wieder anzuheben. Bei Eintreffen auf der Stroke Unit betrug der RRsys leider immmer noch zwischen 120-140 mmHg (60 mg Urapidil ist eine fette Dosis).
Die Diagnostik zeigte übrigens eine ausgeprägte Sinusvenenthrombose! Sie wurde daraufhin lysiert.