Vor einiger Zeit habe ich eine punktuelle spritzende Arterielle Blutung nach Selbstverletzung versorgt. Tatsächlich kam die Blutung nur durch Tourniquet Anlage zum stehen. Nach den gängigen Maßnahmen (Wundversorgung, aktiver Wärmeerhalt, Sauerstoffgabe, schneller Abtransport) hat der Patient von mir noch eine in den linken Unterarm bekommen und in Beachtung der permissiven Hypotension 1L Kristalloide bekommen bei initialer HF von 160 und deutlichen Zeichen des hämmorrhagischen Schocks (abgesehen davon, dass er ca 1,5L Blut verloren hat).
Wir haben im RTW (da wir noch 3 Minuten auf den Hubschrauber zu warten hatten) auch noch 1g TXA in einer Kurzinfusion verabreicht. Kontraindikationen waren klarerweise nicht gegeben.
Im Nachhinein haben wir das im Team besprochen und durchaus die Debatte gehabt, ob die TXA in diesem Fall eine erwünschte Wirkung zeigen kann. Studien dazu sind leider nicht ganz klar, weil die Gruppierung der Anwendung meistens nur unterscheidet zwischen Traumatische Ursache und GI / Gyn / ICB und co. Für Blutungen aus großen Gefäßen habe ich zumindest nichts gefunden. Ich verlinke euch unten auch was dazu.
Mich würde eine zivile Diskussion sehr interessieren. Ich möchte aber eher auf die Frage selbst eingehen, weniger auf mein Fallbeispiel. Dieses dient eher als Kontext zur Frage.
For Context: es ging erstens vor allem darum, dass bei angelegter Blutsperre die TXa ja nicht direkt zum Wirkort gelangt (und ob das relevant ist) und zweitens, ob die TXA bei großen Gefäßen überhaupt nützlich ist, oder eher bei stumpfen Traumata. In der Kriegsmedizin (wo es öfter penetrierende Verletzungsmuster gibt) kommt sie jedenfalls zum Einsatz.
Wenn ich die Blutung tatsächlich sehe und abdrücken kann, dann sehe ich für TXA keinen Benefit sondern eher die Nebenwirkungen im Vordergrund. Im Krieg geht es wahrscheinlich eher um Schussverletzungen oder Verletzung durch Explosionen oder? Da wäre es ja wieder gerechtfertigt, weil ich innere Blutungen vermuten muss.
Ist halt ned so einfach von großen Studien (klarer Benefit, unbedingt machen) auf Einzelfälle zu schließen.
TXA hat keine relevanten Nebenwirkungen in dem Setting, großer Blutverlust wirkt an sich deutlich negativ auf die Gerinnung. Und nach dem RTW kommt ja eine Wundversorgung im Krankenhaus. Die akute Blutung wird es alleine nicht stoppen, aber es wird insgesamt gut helfen - weniger Transfusion, weniger Blutung bei der Versorgung etc
Wenn du den Nutzen nicht siehst verstehst du Blutungsschock und Blutgerinnung nicht.
Die Blutung muss mal stehen, aber ein TQ ist keine definitive Versorgung. Da fängt es ja erst an.
Dieser Patient (ausgehend von einem großen Blutverlust) bekommt spätestens im Schockraum TXA (und Fibrinogen). In der Folge optimalerweise gezielte Therapie nach ROTEM. Ich sehe den klaren Nutzen es so früh wie möglich (gut, CRASH zeigt <3h) zu geben. Ich würds geben
Wird klinisch auch prophylaktisch bei OPs gegeben.
Zudem gibts die CRASH-2 Studie, die einen Nutzen belegt und Das Medikament als eine wichtige Teilkomponente eines blutsparenden Gesamtkonzepts sieht.
Die Schlussfolgerungen aus CRASH-2:
TXA sollte nur bei lebensbedrohlichen Blutungen eingesetzt werden, insbesondere wenn diese nicht allein durch Druckverbände oder Tourniquets gestoppt werden können oder die Gefahr besteht, dass eine anfänglich manuelle Blutstillung frustran wird.
Die Anwendung innerhalb der ersten Stunde nach der Verletzung ist am wirkungsvollsten.
TXA ist kein Wundermittel, aber Teil des Gesamtkonzepts einer blutsparenden Vorgehensweise.
Fazit: JA TXA gehört zur starken endogenen, wie auch exogenen Blutung immer dazu.
Nun bis zu einem gewissen Grad, stimmt deine Annahme natürlich, bei einer mittels TQ gestillten Blutung wird die TXA nicht dort ankommen wo sie wirken sollte. Auch richtig ist aber natürlich, dass die Versorgung nicht bei unserer Abgabe endet - und die TXA im Rahmen des operativen Eingriffs wohl einen Nutzen haben wird. Hier wurde ja auch eine Studie diesbezüglich genannt, die eine TXA Gabe in den ersten 3 Stunden als sinnvoll erachtet.
Alles schön und gut, letzten Endes ist halt die Frage was die Algorithmen meiner Organisation sagen - denn das ist letzten Endes das, was ich als NKV oder NKI machen darf.
Ich habe mir 3 Algorithmen angesehen:
a) ÖRK NÖ so wie hier im Thread verlinkt: “unstillbare Blutung”
Eine Blutung die mittels TQ erfolgreich gestillt wurde, ist nicht UNSTILLBAR. Für mich ganz eindeutig, keine TXA Gabe, da der Algorithmus nicht zutrifft.
b) MA70 “Trauma bedrohliche Blutung”: Sofortmaßnahme Blutungen stillen (manueller Druck, Wound-Packing, Abbinden wenn anders nicht beherrschbar, Junctional Tourniquet, Israeli-Bandage) → Primary Assesment → Blutung beherrschbar? → 1) Ja = keine TXA Gabe im weiteren Verlauf des Alogrithmus. → 2) Nein = TXA Gabe (und dann weiterer Verlauf des Algorithmus).
Meines Erachtens der klarste und verständlichste Algorithmus von allen, hier bleiben keine Fragen offen.
c) ASBÖ “starke Blutung (NKV+NKI)”: (c)ABCDE-Schema → Starke Blutung → 1) ja = TXA Gabe im weiteren Verlauf, → nein = Retour zu cABCDE, Ende des Algorithmus.
Täglich grüßt das Murmeltier, irgendwie hatten wir das hier ja erst vor einigen Monaten mit unterschiedlich interpretierbaren Med-Algorithmen des ASB…
Meine persönliche Interpretation wäre wie beim MA70 Algorithmus - kann ich die Starke Blutung wie auch immer suffizient stoppen, dann ist es keine mehr und ich komme nicht zur TXA-Gabe.
Das steht so aber eigentlich nicht drinnen. Ich denke hier kann man keinem Verdenken, wenn TXA verabreicht wird. Denn es lässt sehr viel Spielraum zur Interpretation.
Die Ergnbisse der Crush Studien und der daraus enstandene TXA Hype (welcher zunehmend wieder zurueck geht) darf durchaus kritisch hinterfragt werden. Siehe dazu auch der MA70 Podcast mit Dr Johannes Strobel.
Ich hatte einen vergleichbaren Fall und die waren im KH nicht mal so happy von unserer TXA Gabe, haetten sie doch gerne davor ein ROTEM gemacht.
Wie so oft ist die medizinische Welt nicht so klar schwarz weiss wie wir es uns gerne wuenschen.
Ich glaube es lohnt sich in die S3 Leitlinie Polytraum/Schwerstverletzten Versorgung zu schauen.
Für die Präklinik finde ich hier etwa “Bei Polytraumapatienten mit manifestem oder drohendem hämorrhagischen Schock sollte zügig die Gabe von 1 g Tranexamsäure (TxA) als Bolus über 10 Minuten erfolgen” Da wir eine singuläre Verletzung hatten entspricht, das wohl eher nicht der Definition eines Polytraumas und damit gibt es auch keine Empfehlung für die Präklinik.
Ein paar Seiten weiter in der Phase Schockraum findet man dann: “Bei Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen und/oder im Schock sowie bei nachgewiesener Hyperfibrinolyse soll möglichst frühzeitig / prähospital die Gabe von 1 g Tranexamsäure (TxA) über 10 Minuten, ggf. gefolgt von einer Infusion von 1 g über 8 Stunden, erfolgen”
Hier fällt unser Patient genau hinein. Den Schock kann man ihm bei einer HF von 160 und beschrieben 1,5l Blutverlust durchaus zugestehen. Obwohl wir hier schon in der Schockraumphase sind bezieht sich die Aussage trotzdem auf die Präklinik und eine Gabe wird mittels “soll” empfohlen.
Ich fand das ein spannendes Gedankenexperiment ich hatte noch nie darüber nachgedacht, wie ich das machen würde wenn das TXA nicht an den Ort des Koagels kommt.
Meine Überlegungen zum Thema sind zum einen, dass es nicht nur um die Blutung an sich geht sondern auch um die gesamte Gerinnungssituation des Patienten. Eine weitere Idee war ob und wie sinnvoll eine TXA i.m. Gabe auf Höhe des Tourniquets wäre. IM TXA hat schon ganz gute Daten was die die Plasmakonzentration angeht insofern müsste es sich dann auch trotz Tourniquet verteilen. Das weniger auf den konkreten Fall sondern eher als Gedankenspiel.
Dazu bitte diesen Teil der Erläuterungen beachten:
Gesetzlich verbindlich im Sinne der §§ 10 und 11 SanG sind die Arzneimittellisten.
Zur Unterstützung der Sanitäter:innen im Einsatz veröffentlicht das Rote Kreuz NÖ Behandlungsleitlinien. Die Behandlungsleitlinien sind immer mit den gesamten in der Aus- und Fortbildung erworbenen Kenntnissen zu interpretieren und dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die angeführten Symptomatiken sollen im Notfall rasch die wichtigsten erkennbaren Zeichen zusammenfassen. Nicht alle angeführten Punkte müssen erfüllt sein.
Ich weiß ja nicht wie sehr man einen Algorithmus falsch verstehen kann. Aber egal, wenn man den Pfeilen zur starken Blutung folgt gelangt man nicht wieder zum Anfang. Gerne hier nachzulesen im aktuellen Algorithmus.
Ich glaube, man muss die Diskussion getrennt führen.
Einerseits, was nach der aktuellen Studienlage “lege artis” ist und andererseits, was die SOPs der Organisationen besagen, was durchaus differieren kann.
Ich persönlich gebe TXA tatsächlich relativ schnell und auch bereits bei einem begründetem Verdacht auf eine starke Blutung. Bei einer isolierten starken, offenen Blutung ist bei mir TXA auch immer mit dabei.