Hier der Versuch, die meiner Meinung nach wichtige Diskussion über die Rettungsgasse fortzusetzen…ich bitte von unsachlichen Aussagen abzusehen, genauso wie von Spekulationen, warum sie eingeführt wurde und wer davon profitiert hat - das trägt inhaltlich nichts dazu bei. Gerade der Inhalt wäre mir jedoch wichtig, da das Thema Rettungsgasse auch in meinem eigentlichen Beruf abseits vom Rettungsdienst relevant ist und ich gerne eure Meinungen, Erfahrungen und Lösungen hören würde.
Zunächst einmal meine Meinung dazu:
Die Rettungsgasse wurde meines Wissens zunächst in Deutschland eingeführt. Über den Grund kann ich nur spekulieren, ich vermute, dass das durch die zahlreichen Autobahnen ohne Pannenstreifen notwendig war (teilweise heute noch, zB. die A8 Salzburg-Rosenheim). In Deutschland gilt die gleiche Regel wie bei uns - die äußerst linke Spur fährt nach links, alle anderen nach rechts. Vor allem in einigen österreichischen Nachbarländern gilt die Rettungsgasse ebenso wie in Österreich (außer in Tschechien - dort spiegelverkehrt).
Wenn wir von einer richtig gebildeten Rettungsgasse ausgehen, dann ergibt sich vor allem vier Vorteile:
- Die Gasse ist in jedem Fall deutlich breiter, als der Pannenstreifen. Da Fahrstreifen deutlich größer dimensioniert werden als die tatsächliche Fahrzeugbreite wird der Platz viel besser ausgenützt, der sonst „Totraum“ wäre. Das ermöglicht eine Durchfahrt für größere Feuerwehrfahrzeuge und höhere Durchfahrtsgeschwindigkeiten.
- Auf vielen Autobahnen gibt es keinen Pannenstreifen, auf dem ein Feuerwehrfahrzeug durchfahren könnte (zB. A22 Korneuburg-Stockerau oder A23 zwischen Landstraßer Gürtel und Stadlau)
- Es gibt keine rechtlich mögliche Variante, dass Fahrzeuge in der Rettungsgasse Einsatzfahrzeuge behindern. Am Pannenstreifen können jederzeit schadhafte Fahrzeuge (technische Gebrechen oder auch zB. kleinere Unfälle im Stau) legal abgestellt sein.
- Mit der Einführung der Rettungsgasse kann der Pannenstreifen temporär bei Stau als Fahrstreifen freigegeben werden. Derzeit sind Pilotprojekte dazu geplant, in anderen Ländern ist es bereits Realität.
In der Praxis ergibt sich der Vorteil, dass viele Verkehrsteilnehmer nun auch auf Straßen im Ortsgebiet bei Annäherung eines Einsatzfahrzeuges eine Rettungsgasse bilden, wo es eigentlich gar nicht vorgeschrieben wäre (im Ortsgebiet gibt es aus rechtlicher Sicht keine Autobahnen). Ich bin vergangenen Freitag problemlos mit Blaulicht durch den Stau auf der Brigittenauer Lände gekommen - wo weit und breit kein Pannenstreifen ist.
Leider ergeben sich in der Praxis auch einige Nachteile:
- Es wird ein aktives Handeln seitens der Fahrzeuglenker erwartet. Ich stelle mich nicht einfach hinten an im Stau, sondern muss nach links oder auf den Pannenstreifen lenken, der eigentlich tabu ist. Ebenso ist es in Österreich im Verkehrsgeschehen im Gegensatz zB. zu Italien nie der Fall, dass man zwischen zwei markierten Fahrstreifen fährt (bei drei oder mehr Fahrstreifen). Obwohl es vorgeschrieben ist, denken die Leute nicht daran oder trauen sich nicht.
- Bei Auf- und Abfahrten, sowie bei komplexeren Situationen (zB. Ast.Altmannsdorf) wissen viele nicht, wie sie dort die Rettungsgasse bilden müssen/können.
- Viele bedenken nicht, dass die Rettungsgasse nicht nur dem Erreichen eines Unfalls weiter vorne im Stau dient, sondern auch dem Erreichen von Einsatzorten abseits der Autobahn. Das ist vor allem im Stoßverkehr ein Problem.
- Oft ergibt sich die Situation, dass ein Fahrstreifen in Bewegung ist, der daneben allerdings bereits steht und somit auf einem Fahrstreifen bereits die Rettungsgasse zu bilden ist, auf dem anderen jedoch noch nicht.
- Vor allem viele ausländischen Lenker (so mein Eindruck) wissen nicht, dass in Österreich bei stockendem Verkehr die Rettungsgasse zu bilden ist. Ich habe selbst einmal auf der A1 beim Bilden der RG erlebt, dass ich links hinter mir von einem rumänischen PKW-Lenker beschimpft wurde und rechts ein ungarischer LKW hupend vorbeigezogen ist, der den Pannenstreifen nicht befahren hat. So etwas ärgert mich, wenn die Leute die Verkehrsregeln nicht kennen und sich aufregen…
Mein Fazit ist folgendes:
Vor allem auf zweispurigen Autobahnen funktioniert die RG in der Regel recht gut. Oft ist auch der Herdentrieb zu beobachten: wenn einer damit anfängt, machens die anderen auch. Entweder weil sie sichs dann auch trauen oder daran erinnert werden.
Bei drei- oder mehrspurigen Abschnitten funktioniert es auch, wenn sich disziplinierte Lenker im Stau befinden (es gibt sowohl in Deutschland, als auch Österreich Videos von Feuerwehren, die das zeigen).
Würde man jetzt die Rettungsgasse abschaffen, würde das erst recht zu Chaos führen, weil sich überhaupt niemand mehr auskennt. Vielmehr wäre es mMn notwendig, konsequent zu strafen, zumindest wenn Leute die RG befahren. Ansonsten sollte weiterhin ausreichend informiert werden - auch mehrsprachig und öfters im Autobahnnetz, so wie auch jetzt schon teilweise per Banner auf Brücken usw. Vielleicht wäre es auch sinnvoll, wenn Motorradpolizisten regelmäßig durch Staus fahren und die Leute darauf hinweisen. Alternativ auch ASFINAG-Mitarbeiter auf Motorrädern. Eine Zufahrt für Einsatzkräfte zu schaffen ist meiner Ansicht nach genauso wichtig, wie weiter vorne bei einem Unfall abzusichern bzw. die rasche Räumung der Unfallstelle zu veranlassen.