Großbritannien als Spitzenreiter
Fragen rund um die Versorgung in den letzten Lebenstagen werden durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft immer wichtiger. Die Forschungsgruppe The Economist Intelligence Unit hat im 80 Länder umfassenden „Quality of Death Index“ (Index zur Sterbequalität) erhoben, wo die besten Bedingungen existieren. Die Studie ergibt: Die Gesamtlage ist prekär, Großbritannien hat die beste Versorgung.
Mit Datenmaterial und Interviews wurde in der Studie erhoben, wo aus palliativmedizinischer Perspektive das Lebensende mit der größten Qualität gestaltet werden kann. Das Fazit: Großbritannien steht an der Spitze, gefolgt von Australien und Neuseeland. Den letzten Platz belegt der Irak. Österreich findet sich auf dem 17. Rang und liegt damit im oberen Mittelfeld.
Insgesamt ist die Versorgungslage in der Palliativmedizin unzureichend. Laut einem separaten Bericht der Worldwide Hospice Palliative Care Alliance (WHPCA) und der World Health Organzisation (WHO) erhalten weniger als zehn Prozent aller bedürftigen Menschen weltweit palliative Pflege.
Mehrere Faktoren analysiert
Gemessen wurden in dem Bericht zur Sterbequalität die Qualität der Palliativversorgung und des Gesundheitssystems, die Gesetzeslage, das medizinische Humankapital, die Erschwinglichkeit der Betreuung sowie das Engagement der Gesellschaft.
Wenig überraschend ist dabei, dass reiche Länder die Rangliste anführen und zudem das Einkommen an die Qualität der Betreuung geknüpft ist. Die Spitzenposition Großbritanniens ergebe sich allerdings nicht nur aus dem Wohlstand des Landes, sondern aus der Tatsache, dass das Land sowohl im öffentlichen als auch dem privaten Sektor Palliativmedizin tief in die nationale Gesundheitsstrategie integriert hat. Das öffentliche Bewusstsein für den Bedarf von Sterbebetreuung sei hoch, so die Forscher.
Zudem gebe es in Großbritannien ein starkes Engagement in der karitativen Hospizbewegung, die in Form von Vereinen große Teile der Pflege finanziert und bereitstellt. Auf öffentlicher Ebene seien existierende Maßnahmen besonders gut in das staatliche Gesundheitssystem (National Health System) integriert, so der Bericht.
Grafik zur Sterbebetreuung
[size=85]Grafik: ORF.at; Quelle: The Economist Intelligence Unit[/size]
Die 20 Spitzenreiter
Konzentration auf Krebspatienten
Die Forschergruppe betont allerdings auch, dass selbst Großbritannien noch substanzielle Probleme plagen. Die Tatsache, dass auch Großbritannien als anerkannter Feldführer nicht in der Lage sei, für alle Betroffenen angemessene Pflege zu organisieren, zeige die Herausforderung, der sich andere Länder stellen müssten, so der Bericht.
Ein im April veröffentlichter Bericht der London School of Economics (LSE) mahnt sogar, dass der britische Palliativversorgungsapparat eine gründliche Überholung brauche. Es gebe weit verbreitete Ungerechtigkeiten und grundlegende Kommunikations- und Zuständigkeitsprobleme. Das größte Hindernis sei, dass sich das System zu sehr auf Krebspatienten konzentriere und kaum Strategien für andere unheilbare Krankheiten, beispielsweise Demenz, existierten. Das führt immer wieder zu katastrophalen Fällen von Vernachlässigung.
Patienten mit anderen Leiden, Menschen über 85 Jahre, Angehörige von Minderheiten und Bewohner von sozial benachteiligten Regionen hätten oft keinen Zugang zu angemessener Betreuung. Berechnungen von 2011 hätten ergeben, dass in Großbritannien rund 110.000 Menschen nicht an die Pflege kommen, die sie benötigen würden, so LSE.
Österreich mit großem Aufholbedarf
Österreich überholt die Briten im Detailranking lediglich bei der Verfügbarkeit von Kapazitäten für Palliativpflege. Das Land steht in dieser Hinsicht weltweit an der Spitze - doch auch dieser Wert fällt bemerkenswert schwach aus. Der Studie zufolge wären lediglich 63 Prozent der binnen eines Jahres Verstorbenen bei den bestehenden Kapazitäten in Österreich in der Lage gewesen, palliative Versorgung zu erhalten. In Großbritannien sind es nur 46,6 Prozent.
Auch bei der Bereitstellung geschulten Pflegepersonals bestehen laut dem Bericht in Österreich Mängel. Zwar habe das Land eine angemessene Anzahl an Spezialisten, es mangle aber an unterstützendem Personal wie Psychologen und Sozialarbeitern. Ein weiteres Defizit ergibt sich aus der Tatsache, dass Österreich beim öffentlichen Bewusstsein für das Thema lediglich im Mittelfeld rangiert.
Schlechte Finanzierbarkeit, hohe Pflegequalität
Besonders schlecht fällt das Fazit hinsichtlich der Finanzierbarkeit aus. Hier liegt Österreich lediglich auf Platz 36 von 80, mit wesentlich einkommensschwächeren Länden wie Panama, Kasachstan, Litauen und Costa Rica vor sich. Der Wert setzt sich aus der öffentlichen Finanzierung, der finanziellen Belastung der Patienten und der Frage zusammen, wie weit sich die Kosten der Palliativbetreuung durch Pensionsleistungen decken lassen. Öffentliche Förderungen für Individuen gäbe es zwar, allerdings sei es schwer, sie tatsächlich in Anspruch zu nehmen, heißt es in der Studie.
Positiver wiegt in der Bilanz, dass Österreich eine klar definierte Strategie für die Entwicklung und Durchführung von Sterbebegleitung aufweisen kann. Im oberen Feld befindet man sich mit Platz 13 von 80 auch hinsichtlich der Qualität der Pflege.
Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung
Die letzten fünf Ränge belegen Myanmar, Nigeria, die Philippinen, Bangladesch und der Irak. Insgesamt bekommen nur 34 von 80 Ländern das Prädikat gut - in ihnen leben allerdings nur 15 Prozent der Weltbevölkerung. Die Autoren der Studie betonen aber, dass auch einkommensschwache Länder die Qualität ihrer Palliativversorgung bereits mit kleinen Maßnahmen immens steigern können.
Als Vorbild stechen laut den Autoren Panama und Uganda hervor. Das mittelamerikanische Land bindet trotz struktureller Defizite Sterbebegleitung in die primäre medizinische Grundversorgung ein, und Uganda hat den Zugang zur Verfügbarkeit von schmerzlindernden Medikamenten massiv ausgebaut.
Spezialfall Mongolei
Als besonderer Fall gilt die Mongolei. Das Land hat sich dank der Initiative einer einzelnen Medizinerin mit einem Punktestand von 57,7 von 100 auf die Nummer eins der einkommensschwachen Länder und im Gesamtranking auf Platz 28 katapultiert. Damit liegt der Staat bei seiner Qualität der Sterbebegleitung unter anderem vor Tschechien, Ungarn, der Türkei und Russland.
Nach einem Kongress in Schweden brachte Odontuya Davaasuren die Palliativmedizin mit in ihr Land. Dort habe sie sich weiter mit dem Thema befasst und „so viel Leid in Familien gesehen - nicht nur physiologisch, sondern auch psychologisch und ökonomisch“.
2000 gründete sie die die Mongolian Palliative Care Society (MPCS) und schuf damit nicht nur Bewusstsein für das Thema, sondern auch eine Infrastruktur für effektive Sterbebetreuung. Bis dato wurden zehn palliativmedizinische Stationen in der Hauptstadt Ulaanbaatar gegründet. Von ihnen aus erfolgt auch die Betreuung der ländlichen Bevölkerung. Bis dahin habe man in der Mongolei nicht einmal ein Wort für Palliativmedizin gehabt, so Davaasuren. Gerade in der konservativen Regierung habe niemand über das Thema reden wollen. Davaasuren ließ sich davon nicht abschrecken und intervenierte dafür, dass das Thema Einzug in die nationale Gesetzgebung fand.
Bedeutung rasant gewachsen
Die Studie weist unmissverständlich auf die rasant gewachsene Bedeutung einer angemessenen Versorgung in den letzten Lebensjahren hin. In vielen Ländern wird der Anteil der älteren Bevölkerung in den kommenden Jahren explodieren. Nicht übertragbare Krankheiten wie beispielsweise Herzleiden, Krebs und Demenz, die zum Teil komplexe und teure Behandlung erfordern, sind auf dem Vormarsch. Umso mehr drängt der Ausbau an Maßnahmen, welche eine möglichst gute Erhaltung der Lebensqualität bis zum Tod gewährleisten können.
Links:
Quality of Death Index 2015 (englisch, PDF)
WHO/WHPCA-Studie (PDF)
LSE-Studie (PDF)