Nackenschmerzen?!

Hallo, ich möchte euch gerne von einem besonderen Einsatz berichten. Ein gemeiner Einsatz wie ich finde und einer bei dem viel falsch hätte laufen können und es unglaublich viele Gelegenheiten für Fixierungsfehler gibt.

Alarmierung mitten in der Nacht. RTW Auftrag ohne Sondersignale zu „Nackenschmerzen, Covid Impfung am Nachmittag“

Erster Fixierungsfehler: „Warum zu Nackenschmerzen um 3 in der Früh? Sicher ein „Schas“ Soll in der Früh zum Hausarzt gehen oder. Schmerzmittel nehmen“

Eintreffen beim Patienten 10 Minuten später:
Messiehaushalt, schlecht deutsch sprechender Mann in den Vierzigern, aufgebrachte Gattin vor Ort, Hunde im Nebenzimmer weggesperrt

Patient liegt in Embryostellung im Bett, wirkt verwahrlost und eher blass und krank, sagt irgendwas von Nackenschmerzen, Covidimpfung und dass er Unterbauchschmerzen hat und ständig Stuhldrang hat, Kommunikation einerseits wegen der Sprachbarriere schwierig und andererseits weil der Patient selber eine sehr ungute Art hat, ständig andere Beschwerden angibt und einem immer das Wort abschneidet. Seine Hauptsorge scheint zu sein dass er sich in die Hose macht.

Zweiter Fixierungsfehler: schmutziges Haus, untere soziale Schichte, unguter Patient, am besten schnell ins Spital uns so wenig wie möglich mit dem Patienten zu tun haben wollen

Irgendwie gibt mir der Patient aber trotzdem Anlass zu Sorge und nach dem ABCDE Schema erst recht:

A: Atemwege sind frei und nicht gefährdet

B:Atmung ist tachypnoisch bei ca 30. Keine abnormen Atemgeräusche

C: Haut blass und kaltschweißig, periphäre Pulse nicht tastbar

D:neurologisch grob unauffällig

E:wirkt allgemein kritisch krank

Nachforderung NEF wegen eines B und C kritischen Patienten

Im Sampler gibt es weder Vorerkrankungen noch Allergien. Keine Vormedikation. Heute Nachmittag 5. Covid Impfung. Der Patient hat Nacken und Unterbauchschmerzen. Beides hat vor einer Stunde ca. begonnen. Der Patient liegt seit dem in Embryonalstellung im Bett.

Währenddessen wurden die Meßwerte erhoben.

RR nicht messbar

HF 70 SPO2 98% BZ 140

Jetzt kommt die große Überraschung: Im EKG zeigt sich ein STEMI der Hinterwand mit AV Block 3 und einer Frequenz von 20. (Woher die HF 70 vom Monitor kommt kann ich mir nicht erklären)

Der Patient wurde sofort auf die Trage geladen und in den RTW gebracht. Mit NEF ein Randezvous ausgemacht und gleich Richtung diensthabende PCI. Während der Fahrt wurde zweimal frustran versucht ein PVK zu legen. Dem Patienten wurden 15lO2 verabreicht und Defi Pads geklebt.

Treffen mit dem NEF 5 Minuten später. Mit Suprablitz konnte die Frequenz gehoben werden und auch ein Druck von 80/60 erreicht werden, der Patient wurde direkt auf den Kathetertisch gebracht und es zeigte sich ein verschlossenes rechtes Kranzgefäß.

Mich würde ehrlich eure Meinung dazu interessieren. Hättet ihr anders gehandelt? Ich denke mir dass der Einsatz auch ganz anders ausgehen hätte können. In meinen Anfangsjahren hätte ich den Patienten vielleicht mit Kreuzweh auf die Ortho gebracht, wo er in der Ambulanz verstorben wäre.

Ja ein paar Dinge hätte ich anders gemacht.

  1. ich glaub, mir wären diese Dinge auf der Anfahrt nicht durch den Kopf gegangen.
  2. ist zwar schwer wenn man den Patienten nicht vor sich hat aber ich muss gestehen ich hätt mir das Nef wohl erst nach dem EKG nachgeholt.
  3. Bei einem kardialen Geschehen mit 98 Spo2 hätte ich keinen Sauerstoff verabreicht
  4. ich selbst bin nicht so der Fan vom Rendezvous fahren, muss ich gestehen

Ich normalerweise auch nicht. Aber für mich war das ein klassisches Load and Go, weil ich dacht, dass nur eine schnelle PCI dem Patienten das leben retten kann. Und im Endeffekt war es auch so.

Für mich stand da eher der kardiogene Schock im Vordergrund. Und im Schock ist doch die Devise so viel 02 wie möglich oder?

mMn alles richtig gemacht, je nach Alter hätte er sich auch schon vor C für ein EKG qualifiziert.
Aber ich versuch eig. auch immer zumindest ein kurzes ABC zu machen, hat schon seine Berechtigung. Wenn man da anders gehandelt hätte, hat man am RTW eh nichts verloren. Genau dafür wollen wir ja qualifiziertes Personal.

Nein. Studien zeigen, dass ein Überangebot von Sauerstoff (freie Radikale) das Gewebe zusätzlich schädigt.
Darum wurde die Lehrmeinung auch angepasst, dass ab einer gewissen Sättigung kein O2 mehr gegeben wird. Wie zuverlässig die Messung gewesen sein wird bei derart schlechter Perfusion steht auf einem anderen Blatt Papier. Im Zweifel, eher Sauerstoff geben.

Ich hätte das NEF auch schon vor dem EKG geholt, weil die Vitalparameter nicht grad so toll sind und es dem Pat. offensichtlich schlecht gegangen ist.
Bei Nackenschmerzen + Embryonalstellung (Meningismuszeichen) wäre ich vmtl. zuersterst noch etwas mehr in Richtung Neurologie abgeschwiffen bevor ich zum 12er gegangen wäre.
Es sei denn man hätte im 4er schon direkt Auffälligkeiten gesehen.

Load & Go / Rendezvous
Naja. Kommt für mich drauf an wie lang ich auf das NEF warten muss. Bis ich fertig monitiert habe, zugang, Blutabnahme, medis, EKG telemetriert, inkl. transport ins Auto ist das NEF (wo ich fahre) meist eh schon da und es ergibt sich kein Zeitvorteil für den Patienten.
Ohne NEF bzw. rücksprache des NA mit diensthabendem Kardiologen inkl. telemetriertem EKG, darf ich bei uns nicht einfach in das Schwerpunkt KH fahren. Das gibt Haue… auch wenns richtig wäre.

@HF
Beim C3 siehst du im EKG ein Pfeilchen über allem was er als QRS Komplex „erkennt“ und somit zur HF zählt. Bei hohen T-Wellen kann es daher sein, dass der Corpuls dann das doppelte anzeigt von dem was tatsächlich rauskommt.

Bzgl. 02 oder nicht:

Ich würde in diesem Fall auf jeden Fall wieder 02 geben. Und zwar in maximaler Dosis. Für mich hatte der Patient keinen stabilen Stemi sondern war im kardiogenen Schock. Und jedes Schockgeschehen braucht mmn. dringen 02 um zu verhindern, dass die Zellen auf anaeroben Stoffwechsel zu Energieproduktion umstellen. Ich weiß, dass freie Radikale durch zu viel 02 nachteilig für kaputte Herzmuskelzellen sein können. Aber ein Multiorganversagen durch zu viel Lactat bedeutet wahrscheinlich den Tod.

Die Gewebehypoxie hast du ja aufgrund der gestörten (Mikro-) zirkulation und nicht weil zu wenig O2 verfügbar wäre.
Und viel mehr als 98% O2 bekommst auch mit 15L nicht ins Blut bei normalem Beatmungsdruck.

AV Block 3° mit 20 HF ist schon ein wirklich tiefer Ersatzrythmus → Breite häßliche QRS Komplexe.
Da vernünftige STEMI Diagnostik zu betreiben hat sich schon mal einen Applaus verdient (y)
Frau Sgarbossa sagt danke fürs zuhören :wink:

Das EKG war eigentlich ein Lehrbuch EKG. Sowohl der AV Block als auch der Stemi in den typischen Ableitungen waren ganz eindeutig zu erkennen. Sehr Sanitäter freundlich :wink:

Auf die O2 Gabe hätte ich in diesem Fall auch verzichtet um eben wie bereits richtig erwähnt „freie Radikale“ zu minimieren.

Das Load and Go finde ich in dem Fall sinnvoll, weil es halt echt Zeit spart und den Patienten schonmal näher zu einem Katheterlabor bringt.

Zum Thema HF: Beim C3 kann man ja sowohl den PP als auch die „normale“ HF über das EKG als Parameter anzeigen. Die können da schonmal auseinander gehen zumal manchmal vom C3 hohe Zacken und Artefakte im EKG als QRS Komplex interpretiert werden (man sieht es wie auch schon richtig gesagt an den kleinen Dreiecken/Pfeilchen).

Für die weniger erfahrenen EKG Interpreten die hier vll. mitlesen:
Bei Veränderungen der Reizleitung (AV-Blöcke, Schenkelblöcke, Schrittmacher,…) sind die ST-Strecken verändert und können damit die Diagnostik eines Infarktes deutlich erschweren.
Hat der Pat. einen AV-Block und als folge dessen ischämietypische Schmerzen wie bei einem Infarkt oder hat der Pat. einen Infarkt und einen AV-Block als Resultat?
Für solche Fälle gibt es zusätzliche Kriterien wie die „Sgarbossa-Kriterien“ um weitere Anhaltspunkte zu haben für die Einschätzung des Patienten. → Am besten man hat da einen Kardiologen zur Hand dem man das EKG telemetrieren kann. Ich hoffe, dass sich bei sowas heutzutage niemand mehr zu Stolz ist dafür fachkundigen Rat einzuholen.

https://flexikon.doccheck.com/de/Sgarbossa-Kriterien
Konkordanz: In die gleiche Richtung wie der Hauptvektor des QRS-Komplexes

Beim Hinterwandinfakt ist es gut möglich, dass der AV-Knoten nicht mehr gut durchblutet wird und es damit zum AV-Block kommt.
Bei dem Patienten muss man vorsichtig sein mit der Vorlastsenkung!
Wäre ein guter Kandidat für transkutanes Pacing. → Bei dem Pat. kommen definitiv Defipads drauf also evtl. direkt Anterior-Posterior kleben.
Gibt direkt ein Mitarbeitsplus beim nachrückenden NA :wink:

Hast du von dem EKG zufällig ein Foto, dass du mit uns teilen könntest?

Ja gerne. Aber das kann dauern. Komm erste nächste Woche wieder auf die Dienststelle.

Also mMn lief der Einsatz so gut wie es nur ging.

Ich fahre auf einem Stützpunkt auf dem das NEF auch schon 25min+ brauchen kann bis es am BO ist. Da ist ein Rendezvous finde ich, in diesem Fall die beste Option für den Patienten.
Da du anscheinend NKV und Ehrenamtlich bist wollte ich noch erwähnen, dass ich es echt gut finde das du die Notkompetenz „hinten angestellt“ hast. Auf meiner Dienststelle vergessen manche auf die Basics aber Hauptsache Sie konnten Stechen.

Auf ein Bild vom EKG wäre ich zum üben auch sehr gespannt :slight_smile:

An die EKG-Guys hier: haltet Ihr euch beim interpretieren eines EKGs an das „7-Schritte-Programm“ wie manche es im NFS Kurs lernen oder habt ihr eigene Techniken (oder evtl. Literatur?) - sorry falls das hier unangebracht ist.

Danke! Ja ich bin NKV. Habe auch 2 mal versucht kurz vor der Abfahrt bzw. während der Fahrt einen Zugang zu etablieren. Beide mal aber leider frustran. Wobei ich aber glaube, dass es am zentralisierten Patienten und nicht an mangelnder Routine lag, da ich in meinem Brotberuf täglich unzählige Blutabnahmen und Zugänge mache.

Wegen EKG habe ich eigentlich kein Schema zum befunden. Ich habe es im NFS Kurs damals mit dem EKG Kurs für Isabell gelernt und sehe in der Arbeit täglich viele EKGs.

Die Kriterien von Frau Dr. Sgarbossa gelten eigentlich für den STEMI bei LBBB (dazu gibt es vom Dr Smith und später den Barcelona Kriterien noch Modifikationen). Ein Anwendung bei einem AVB 3° wäre mir neu, bzw hätte ich so in der Literatur noch nicht gefunden, hast du da was bei der Hand?

Natürlich kann ein AVB 3° zu einem Typ 2 Infarkt führen.

Ich glaube aber wesentlich häufiger kommt es zu einem AV Block durch den Infarkt.

Gibt es bei einem Typ 2 Infarkt eigentlich isolierte Hebungen oder ist da das EKG in allen Ableitungen auffällig?

Super spannender Einsatzbericht, danke fürs Teilen!

Nein. Das mit dem AV-Block entspringt meiner „eigenen Logik“. Der Kammerersatzrhythmus hat ja auch einen Ursprung unterhalb des AV-Knotens wie der Schrittmacher. Von daher würde da für mich die gleiche Logik Sinn machen. ???
Kann aber gut sein, dass ich damit falsch liege.

Soweit ich weiß, sagt der Typ nichts über die zu erwartenden Hebungen aus sondern nur über die pathogenese.
Ein thomboembolisches Geschehen z.B. kann je nach Ursprung Typ 1 oder Typ 2 sein.