Da es schon 1-2 Mal angesprochen wurde:
Wir machen aufgrund der Anamnese und der noch immer unveränderten Bewusstseinslage den Vorschlag, Naloxon 0,2 mg iv. zu probieren (Risiko-Nutzen-Abwägung meines Erachtens in Ordnung).
Der ärztliche Kollege vor Ort ist dem gegenüber jedoch skeptisch. Für ihn ist noch immer die CO2 Narkose führende Verdachtsdiagnose.
Ziemlich zeitgleich zu dieser Debatte trifft der NA ein, an den eine Übergabe stattfindet. Dieser greift unseren Vorschlag auf und möchte das Naloxon verabreichen.
Kurz darauf: „Na schau, wer wieder da ist!“
Der Patient klart deutlich auf (GCS 14, lediglich Antworten noch verwirrt und bestehende Müdigkeit, aber problemlos auf Ansprache reagierend), die Sättigung steigt auf über 90 an, worauf hin der NA vorschlägt, die CPAP Beatmung durch eine Maske mir Res. zu ersetzen. Auch hier bleibt die Sättigung stabil.
Die Diagnose des NA: Opiat Intox, womöglich auch Mischintox mit Benzodiazepinen. Schlechte Sättigung aufgrund Atemdepression, nicht aufgrund der Vorerkrankung oder einer CO2 Narkose. Auch er hat, wie ihr, festgestellt, dass ein COPD 4 Patient höhere CO2 Werte durchaus toleriert.
Zusammengefasst:
A - unverändert
B - AF Anstieg, SpO2 96 (danach Wechsel auf Nasenbrille, völlig ausreichend), keine Exazerbationszeichen
C - Unverändert stabil, RR weiterhin im Bereich 130 Systolisch
D - Wie oben beschrieben, deutliche Besserung, Schläfrigkeit, Verwirrtheit, Motorik adäquat. Pupillen sind jetzt weit!
E - keine Veränderungen oder neuen Erkenntnisse
Eine Gabe Flumazenil wird erwogen aber nicht durchgeführt (Tbh. Da würde ich mich nicht spielen – der Patient ist zu dem Zeitpunkt stabil und Flumazenil ist kein Spielzeug, wäre interessant, wie ihr das seht)
Anschließend wird eine Belassung durch den NA in den Raum gestellt, das Reha Zentrum hält die entsprechenden Antidote vor und kann den Patienten prinzipiell versorgen. Der Arzt bittet uns dennoch, den Patienten zur genaueren Beobachtung auf eine NFA zu transportieren, was in Absprache mit allen Beteiligten dann auch so stattfindet.
Der Patient bleibt am Transport stabil. Eine weitere Gabe Naloxon wird nicht notwendig. Tatsächlich rebounded der Patient erst in der NFA und bekommt dort bei der Übergabe vom DGKP noch einmal 0,2 mg.
Unsere Vorgehensweise habe ich ja bereits im Verlauf beschrieben. Alles in allem waren wir uns einig. Ich muss gestehen, ich bin beeindruckt, an wie viele Dinge viele von euch noch gedacht haben, die für uns als Team und mich als Lead weniger im Visier waren! Da ist definitiv noch einiges an Entwicklungspotential für mich drinnen insbesondere bzgl. Labor und Beatmungsparameter! Danke dafür, ich freue mich auch über nähere Erklärungen.
Ich bin mir sicher, ich hätte die Entscheidung, bei der NIV zu bleiben genauer hinterfragen sollen. Ebenso habe ich mich von der Diagnosestellung dazu verleiten lassen, die von uns angedachte Naloxongabe zu schnell abzuschreiben. Ich denke, wäre ich dort ohne Arzt gewesen, hätte ich das durchaus appliziert, da es ohnehin praktisch keine weltbewegenden Risiken bei vorsichtiger Titration gibt.
Um die Lage nachvollziehbar zu machen: Die Autorität des Mediziners mit 6 Jahren Studium, Facharzt für Innere Medizin sowie Schwerpunkt Pneumologie hat es mir nicht leicht gemacht, Entscheidungen zu overrulen. Das alles soll keine Entschuldigung sein: Ganz im Gegenteil! Mich würde wirklich interessieren, wie ihr in so einer Situation, die ja neben dem medizinischen auch hierarchisch anspruchsvoll ist, reagiert hättet. Habt ihr Tipps für mich?
Einiges ist mir bislang noch nicht ganz aufgegangen:
- Die Kreislaufsituation ist, wie ihr beschreibt, nicht sonderlich passend für einen Opiat-Intox. (evtl Aufgrund Mischintoxikation?)
- Die Zyanose war in Anbetracht der Sättigung sehr gering ausgeprägt
- die klassischen Opiat Geschichten sind in meiner Wahrnehmung eher Bewusstlosigkeit vor Atemdepression, in diesem Fall war die Bewusstseinseintrübung „relativ moderat“, während die Atmung schon ordentlich im Eck war (evtl. weil vorbelastet?)
Was mir auch ganz wichtig ist festzuhalten: Ich möchte nicht, dass das Personal vor Ort in ein schlechtes Licht rückt. Das Team war sehr zuvorkommend und hilfreich, die Übergaben gut und die Zusammenarbeit war flüssig. Wir hatten zusätzlich zu unserem Team immer 2 Pflegerinnen und einen Arzt an unserer Seite. Unsere Vorschläge wurden ernstgenommen, teils umgesetzt (Raumluft-O2, Zugang), teils zumindest anerkannt (Naloxon, NIV) und begründet abgelehnt (ob gerechtfertigt lasse ich jetzt außen vor).
Der Arzt war sehr bemüht und empathisch mit dem Patienten. Er ist eben Internist in einem Reha Zentrum und nicht LNA auf dem C9. Damit ist das einfach nicht sein Spezialgebiet und ich verstehe, wenn man da spontan die Abläufe eines Notfalleinsatzes nicht aus dem Ärmel schütteln kann. Er hat uns auch die organisatorische und taktische Leitung überlassen und lediglich medizinische Entscheidungen letztverantwortlich, aber mit unserem Input, getroffen.
Ich bin mir sicher, das Personal vor Ort mach seine Arbeit gut und gewissenhaft. Solche Notfälle sind dort einfach nicht alltäglich.
Key Learnings für uns als Team:
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Alle möglichen Differentialdiagnosen genau in Erwägung ziehen.
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Veto Kompetenz wahrnehmen.
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Frühzeitiges Antizipieren weiterer Ressourcen ist (gerade am Land) enorm wichtig!
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Genaue Anamnese! Gerade wenn man ohnehin viel Diagnostik hat sollte man die auch echt nutzen!
Ich bedanke mich für die Aktivität und freue mich, wenn der Thread zur Diskussion offen bleibt. Sorry an jene, die jetzt nicht mehr mitraten konnten!