Haftbarkeit von Sanitätern

Hi,
mir schwebt mittlerweile seit einiger Zeit die Frage im Kopf in welchem Ausmaß jeder Einzelne von uns im Ernstfall haftbar ist bzw. wie schnell es wirklich zu Geld- oder Haftstrafen kommen kann.
Man nehme einen Einsatz den ich vor kurzer Zeit hatte (natürlich alles anonymisiert):

Wir fuhren zu einer Person mit Schmerzen im Knie. Die Person ist vor ca. einer Woche gestürzt und seitdem waren lt Aussagen täglich der ÄFD und auch der RD vor Ort, eine Hospitalisierung fand erst durch uns statt.
Aufgrund der Gegebenheiten der Wohnung (Messiewohnung, keine Möglichkeit mit einem Raupensessel oä die Person rauszubefördern, entschieden wir uns mit dem Sessel vor der Wohnungstüre zu warten und bis dorthin mit Unterstützung zweier Sanis die Person zu stützen. Tragen mittels Tragetuch wäre ebenso nicht möglich gewesen.) Dies wurde auch alles so dokumentiert.

Nun stellte sich im KH heraus, dass Pat. eine Tibiakopffraktur hat. Des weiteren sind die Blutwerte massivst im Keller und ebenso wird eine GI-Blutung vermutet. Lt. KH besteht die Chance dass Pat im KH verstirbt. Von den ganzen internistischen Geschichten hatten wir logischerweise keine Ahnung, Pat gab auch keine weiteren Beschwerden als die Knieschmerzen an. Messwerte auch alle völlig im Normbereich.

Gehen wir jetzt mal davon aus, dass ein Angehöriger klagen sollte, welche Schuld kann die einzelnen Sanitäter vor Ort wirklich treffen? Schlussendlich haben wir ja transportiert und somit Pat geholfen. Auch wenn die Beförderung aus der Wohnung im Nachhinein mit dem Wissen einer vorhandenen Tibiakopffraktur natürlich nicht optimal war, obwohl Pat das Bein eh nicht belasten musste.
Welche Schuld kann den ÄFD und die vor uns dagewesenen Sanitäter treffen?
Ich bin mir halt völlig unsicher, inwiefern wir nun wirklich haftbar sind, bzw. welche Strafen uns in welchen Fällen ereilen können.

Danke für eure Hilfe.

Die erste und wsl. einzig relevante Frage in so einem Fall ist denke ich nur, ob die notwendige Sorgfalt angewandt wurde. Wenn ein Patient mit Knieschmerzen die Behandlung bzw. den Transport ablehnt, kann noch so viel kaputt sein, er darf entscheiden wie er will.
Ein Arzt kann belassen. Eine RD-Mannschaft nicht. Was bei den vorangegangenen Besuchen aber tatsächlich besprochen wurde, weiß keiner von uns. Auch geht nicht hervor, ob der Sturz bereits abgeklärt war.
Wenn der Patient den Gang zum Sessel mit Unterstützung problemlos tolerieren kann, gibt es keine Kontraindikation ihn nicht auch gehen zu lassen. Da ihr allerdings über Alternativen nachgedacht habt, bin ich mir nicht sicher, ob das auch der Fall war. Das es keine Möglichkeit gibt den Patienten anderweitig zu retten stelle ich mal grundsätzlich in Abrede (Menschenkette, Schleifen, Feuerwehr, Wandaufbruch…), die Frage ist eher ob diese Optionen besser gewesen bzw. durch den Patient überhaupt akzeptiert worden wären. Es ist eine völlig legitime Rettungstechnik Menschen ohne Hilfsmittel zu tragen/stützen.

Ich kenne mich juristisch nicht aus, aber nur mal so als Gedanke: wenn der Patient von 2 Leuten gestützt wird belastet er das verletzte Knie ohnehin nicht und kommt somit super schonend zum vorbereitetet. Davon mal abgesehen dass er ja offenbar oft genug den Transport verweigert hat und sich ja in der Wohnung auch fortbewegt haben muss in der Zwischenzeit…also dann zu sagen „mein Knie ist jetzt wegen den Sanis kaputt die mich gestützt haben geht mal sicher nicht.

Ich glaube dass man die Kirche im Dorf lassen sollte. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.
Wenn ich mir darüber ständig Gedanken mache, brauch ich garnicht mehr in den Dienst gehen. Ich denke eine schlüssige Doku und die Entscheidung im Sinne des Patienten und der Angehörigen ist das Wichtigste. Und um noch einen Spruch zu strapazieren: Wo kein Kläger da kein Richter. Wen interessiert das ob ihr den Herrn aus der Messi Wohnung gehen habt lassen oder nicht?

Ich sehe das auch bei Belassungen etwas anders, ich belasse sehr wohl ohne Revers als Sanitäter. Wenn Patienten nicht mitwollen und ich keine Notwendigkeit sehe, werde ich ihnen keinem Transport empfehlen und ich belasse sie ohne Revers.
Als Sanitäter muss man auch etwas Verantwortung übernehmen in meinen Augen.

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Was ist bitte eine Belassung mit Revers?
Ein Revers ist eine Ablehnung der Behandlung / des Transportes bei entsprechender medizinischer Indikation. Bei einer Belassung fehlt diese Indikation und somit hat ein Revers hier auch nichts verloren.

Können wir uns bitte nicht über das Wording streiten.

Es weiß doch jeder was gemeint ist.
Belassung mit Revers: Pat verweigert den angeratenen Transport/Intervention. Kann man auch Transportverweigerung oder sonst wie nennen.

Belassung ohne Revers: Spitalstransport wird nicht empfohlen und der Patient verbleibt am BO.

Für mich bedeutet eine Belassung nur das der Patient am BO verbleibt. Egal unter welchen Umständen.

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Ich bin selbst kein Jurist, aber nach meinem Wissensstand denke ich nicht, dass ihr in dieser Situation viel zu befürchten habt.

Erstens müssten, wie andere hier schon angemerkt haben, im Falle einer Klage bewiesen werden, dass ihr die üblichen Sorgfaltsmaßstäbe (handeln gemäß Ausbildung/SOPs/Lehrmeinung im Sinne des Patienten) verletzt habt.
Die Beweislast müsste in diesem Fall beim Patienten bzw. den Angehörigen liegen (sofern ausreichend Dokumentiert wurde).

Aufgrund der beschrieben Situation gehe ich nicht davon aus, dass hier ein schonenderer Transport möglich gewesen wäre.
Bei den internistischen Problemen ist die Frage ob aufgrund der Messwerte/Anamnese ein NEF oder erweiterte Maßnahmen durch NFS(-NKx) (falls vor Ort) indiziert gewesen wären.
Da aber der ÄFD vor Ort war und Laborwerte von Sanitätern nicht erhoben/interpretiert werden können und dürfen, sehe ich hier auch kein großes Problem.

Selbst wenn dem Patient ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen würde, haftet nicht das Team sondern die Rettungsorganisation (da der Patient mit dieser einen Behandlungsvertrag hat).
Die „Höchststrafe“ wäre in diesem Fall die Auflösung des Dienstverhältnisses.

Welche Klage gegen dich in Person befürchtest du denn?

Generell ist vieles was am Stammtisch erzählt wird „den verklog i“ in der rechtlichen Praxis nicht umsetzbar.

Gerade in juristischen Angelegenheit ist die korrekte Verwendung der Begriffe maßgeblich.

Deswegen sind Revers und Belassung auch zwei unterschiedliche Dinge, auch wenn sie laienhaften Sprachgebrauch vermengt werden.

Das Straf- als auch Zivilrecht ist hierbei getrennt zu beachten. Zum konkreten Fall eine klare Beurteilung der Rechtslage machen ist ohne den Hintergrund garnicht möglich.

Strafrechtlich ist de jure die Unterscheidung zwischen Antragsdelikten und zu von Amts wegen zu verfolgenden Delikten maßgeblich. In den meisten Fällen sind es Antragsdelikte, also ohne Anzeige keine Anklage. Somit ist die „Gefahr“ durch etwas im Dienst bestraft zu werden schon geringer. Strafrechtlich betrifft es immer eine natürliche Person, also uns Sanitäterinnen und Sanitäter.
Auch ist es hierbei die Pflicht der Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass das Handeln strafrechtlich relevant war und ein Fehler begangen wurde. Was in der Dokumentation dokumentiert wurde, wurde gemacht. Was nicht dokumentiert wurde, wurde nicht gemacht - sofern es keine andere Beweislage gibt.

Zivilrechtlich ist allemal ein Antrag auf Verfolgung, also einer Klage, zu Grunde zu legen. Da die Patienten einzig einen Behandlungs- und Beförderungsvertrag mit der Organisation eingehen, und wir Sanitäter als Erfüllungsgehilfen tätig werden, kann diese Klage auch nur gegen die Organisation gerichtet werden. Also - bei einer Verurteilung zahlt die beklagte Rettungsorganisation - de fact kann jedenfalls ein Regress eingefordert werden bei den Sanitäterinnen und Sanitätern, wenn diese fahrlässig, grob fahrlässig oder unter Vorsatz handeln. Ob es tatsächlich dazu kommt ist ungewiss.
Hierbei ist auch wichtig, dass die beklagte Patei das Gegenteil beweisen muss. Es wird vorgeworfen nicht nach Lehrmeinung gearbeitet zu haben, also habt ihr (bzw. die Organisation) zu beweisen, dass diese Behauptung falsch ist. Dokumentation!

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Privatrecht:
Stimmt so nicht, der Patient (-seine Rechtsnachfolger) hat einen Vertrag mit der HiOrg (=Unternehmen), diese Firma muss nun versuchen sich freizubeweisen.
ZPO Prozess - hier kann sich dann der Beklagte seine Manschkerln zum Prozess einladen lassen.
Usw.
In Summe kann ich mich an einen spektakuläreren Fall aus Salzburg erinnern (-10 Jahre her), da wurde eine Patientin beim Umheben (Flugzeugstretcher auf Tragesessel) geschädigt, war im ORF der Beitrag. Das Handeln der Sani war nicht lege artis.