[size=150]Nach Unfallserie auf der A1 - Polizei geht gegen filmende Schaulustige vor[/size]
[size=85]Christina Steinacker, Andreas D. Becker und Claudia Ihmels 25.03.2015[/size]
Die Feuerwehrleute konnten es nicht fassen. Mal wieder nicht fassen, trifft es wohl besser. Auf der A 1 waren am Montagnachmittag, wie berichtet, drei Lastwagen in einen schweren Unfall verwickelt – und auf der Gegenfahrbahn in Richtung Osnabrück bremsten die Fahrzeuge ab, die Seitenscheiben glitten herunter, damit die Fahrer ihre Smartphones aus dem Fenster halten und den Crash filmen konnten.

[size=85]Blaulicht auf der Autobahn? Viele Autofahrer greifen dann direkt zum Smartphone und halten drauf. (Udo Meissner)[/size]
„Das kann doch nicht wahr sein“, riefen einige der Lebensretter, die zwar am Einsatzort waren, aber gerade nicht gebraucht wurden und an der Mittelleitplanke standen. „Fahrt bloß weiter.“ Dabei sind sie es schon gewohnt, dass die Autofahrer nicht einfach nur gaffen, sondern das gleich das Mobiltelefon im Anschlag ist.
Doch die Polizei filmt jetzt zurück, auch an diesem 23. März mit drei aufeinanderfolgenden schweren Unfällen im Laufe des Tages. Als um 9 Uhr zwischen den Anschlussstellen Dreieck Stuhr und Brinkum das erste Unglück passierte, bei dem ein Lkw-Fahrer starb, fiel den Beamten auf, wie viele Autofahrer ihr Handy gezückt hatten. Sie reagierten – und filmten zurück.
„Wir müssen das aber noch auswerten“, erklärte Jennifer Koch, Sprecherin der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch am Dienstag. Denn Verkehrsverstöße begehen nur die Fahrer, die selbst filmen. Den Beifahrern kann die Polizei nichts. Aber um sie geht es erst in zweiter Linie.
60 Euro und ein Punkt in Flensburg
„Uns leitet dabei vor allem der Präventionsgedanke“, erklärt die Polizeisprecherin. „Die Menschen sollen sich auf den Verkehr konzentrieren.“ Und eben nicht auf den Unfall und auf ihr Handy. Da sie meist, um besser filmen zu können, auch ihr Tempo spürbar reduzieren, bringen sie auch noch andere Fahrer in Gefahr, die vielleicht von der plötzlich stark verminderten Geschwindigkeit überrascht werden. Fahrer, die die Polizei auf ihren Aufnahmen als Unfallfilmer identifiziert, werden auf jeden Fall Post bekommen. Ihr Filmchen wird dann zumindest Produktionskosten von 60 Euro und einem Punkt in Flensburg nach sich ziehen.
Dass die Rettungsarbeiten nach einem Unfall von anderen Autofahrern fotografiert oder gefilmt werden, ist für Matthias Thom, Sprecher der Kreisfeuerwehr Diepholz, nichts Neues. „Bei Unfällen auf der Autobahn passiert das stets und immer“, sagt er. Sobald das Blaulicht zu sehen sei, werde das Handy gezückt. Thom fällt das bei jedem zweiten Wagen auf. Seit Smartphones und soziale Netzwerke wie Facebook und YouTube immer mehr Verbreitung gefunden haben, habe das Filmen und Fotografieren aus dem Auto zugenommen.
„Außerhalb der Autobahn ist mir das aber noch nicht so stark aufgefallen“, sagt Thom. Thomas Simon, Chef der Delmenhorster Feuerwehr, hat dieses Verhalten vor allem bei spektakulären Großeinsätzen beobachtet – und sieht die Filmerei als ein „Zeichen der Zeit“. Zu Behinderungen während des Einsatzes durch die Filmer sei es aber seines Wissens noch nicht gekommen. Und wenn jemand im Weg steht, sei es mit Hilfe der Polizei möglich gewesen, „die Situation ohne Probleme zu lösen“.
Die Filme landen im Internet
Viele Menschen hätten ihr Smartphone anscheinend griffbereit auf dem Beifahrersitz liegen, vermutet Thom. Tatsächlich seien es auch oft die Fahrer, die filmen oder fotografieren würden – worin der Reiz für sie liegt, versteht er nicht. Der Feuerwehrsprecher sieht besonders die Gefahren, die sich durch so ein Verhalten ergeben können – für Autofahrer und Rettungskräfte.
Er erinnert sich an einen Einsatz auf der Autobahn, bei dem er sogar noch versucht hatte, die vorbeifahrenden Fahrzeuge zum schnellen Weiterfahren zu bewegen. Trotzdem sei der Fahrer eines Sprinters so langsam an einer Unfallstelle vorbeigefahren, um zu filmen, dass ein nachfolgender Lastwagen fast aufgefahren wäre. „Der Lastwagen ist ganz kurz hinter dem Sprinter zum Stehen gekommen“, sagt Thom.
Die Rettungskräfte seien in solchen Situationen nur zwei bis drei Meter daneben im Einsatz und wären einem weiteren Unfallgeschehen damit im schlimmsten Fall ungeschützt ausgesetzt, ein Horrorszenario für jeden Helfer. „Außerdem hätten wir dann einen weiteren Unfall, um den wir uns kümmern müssen“, erklärt Thom.
Eine weitere Dimension wird erreicht, wenn Aufnahmen der Unfälle im Internet veröffentlicht werden. „Es ist für die Verletzten, die vielleicht gerade behandelt werden, nicht angenehm, wenn das publik gemacht wird“, sagt Jennifer Koch – wobei die Polizei an der Stelle kaum Handlungsmöglichkeiten hat, die Veröffentlichung zu unterbinden. Da müssten die Betroffenen schon selbst aktiv werden und Anzeige erstatten, damit die Gesetzeshüter dagegen vorgehen können. „Wie wir damit genau verfahren, müssen wir aber erst einmal klären“, sagt Jennifer Koch. Auch die Polizei lernt gerade, wie sie mit dieser neuen Form des Gaffertums umgehen muss und soll…