Fallbeispiel: 17D06 Sturz aus großer Höhe

Hallo zusammen,

da mir die Diskussionen rund um die Fallbeispiele immer so gut gefallen, möchte ich heute auch einmal etwas beitragen.

Es ist ein hübscher Herbsttag und ihr sitzt gemütlich auf der Couch eurer abgelegenen Ortstelle. Ihr seid ein sehr frischer NFS-NKV und als Beifahrer habt ihr einen kompetenten Zivi mit. Bisher war der Tag mit zwei infektiösen Fahrten spannend und verhältnismäßig arbeitsreich. Gerade als euch beim Versuch, ein kleines Nickerchen zu machen, die Augen zufallen, piepst der Pager.

Zuerst lest ihr nur den Code 17A00 und denkt euch: „Na gut, dann erledige ich vorher noch schnell meine Notdurft, bevor ich mit voller Blase in den Einsatz muss.“

Auf dem Weg Richtung WC werft ihr einen genaueren Blick auf die gesamte Einsatzmeldung – und seht plötzlich:

17D06 (Sturz aus großer Höhe, 3–9 m). Patient (1)(m), 7 Jahre alt. Laut Anrufer beide Beine verletzt nach Sturz von Kletterpark“

Das Klo muss also warten…

Die Anfahrt dauert gute acht Minuten. Über Funk erfahrt ihr noch, dass weder das 15 Minuten entfernte NEF noch der nahegelegene Christophorus frei sind. Ihr bereitet euch also schon gedanklich auf den Einsatz vor und besprecht mit eurem Zivi die Rollenverteilung.

Der Zielort liegt in einem beliebten Kletterpark und auf der Straße stet schon eine Person die euch zum Unfallort einweist. Die Zufahrt ist problemlos direkt über einen Weg möglich. Kurz darauf meldet die Leitstelle, dass der NAH nun doch verfügbar sei – Ankunft in ca. 8–10 Minuten.

Beim Aussteigen findet ihr eine relativ übersichtliche Szene vor: Ein Bub liegt in Bauchlage auf dem Waldboden vor dem Gebäude. Euch fällt ein Stein vom Herzen, als ihr das laute Schreien hört. Die Eltern sind zunächst nicht auffindbar, ein Passant berichtet, dass das Kind plötzlich con der Platform von ~8m gestürzt sei und seitdem durchgehend schreie.

Was sind eure ersten Schritte? Worauf legt ihr besonderen Wert? Wie würdet ihr die Arbeit untereinander aufteilen?

Gerne auch Tipps und Tricks, die ihr bei ähnlichen Trauma-Einsätzen anwendet.

(Daten und Fakten wurden aus Datenschutzgründen verändert)

Ich würde den Passanten mit einbinden.

Zivi macht MILS, Pat. Achsengerecht in Rückenlage bringen und Assessment nach XABCDE und dabei an die psychologische Betreuung = Kindgerecht denken.

Maske mit o2

Immobilisierung ist indiziert, also machen, zum Wärmeerhalt in den RTW hinein und Decke drauf, PVK legen, dann ist hoffentlich der NAH auch schon da.

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Danke fürs Beispiel!

Gehen wir mal klassisch vor:

Scene Safety? (GGf. auch mal nach oben schauen ob ich aus der “Sturzrichtung” was sehe was relevant wäre)

XABCDE und entsprechend mal ne achsengerechte Umlagerung mit HWS-Fixierung. Nach dem Umdrehen Trauma-Check und ggf. erneut XABCDE nachdem ich ja nur die “Rückenseite” gesehen habe und sich ggf. ja was auf der Bauchseite getan hat.

Nebenbei den Passanten mal Fragen was er gesehe/gehört/gemacht hat (Geht nebenbei)

Spätestens jetzt nach dem Umdrehen hätte ich gerne den NAH dazu (Ich schmeiß mal aus dem Stegreif hinein , dass die beiden unteren Extremitäten frakturiert sein werden…)

Als Maßnahmen:

.) O2 + Wärmeerhalt

.) Schienung HWS und Traumadrillinge mal vorbereiten (Geht’s umlagern ohne Analgesie überhaupt?)

.) Monitoring dran und Zugang etablieren

.) Psychosoziale Betreuung (Wo sind die Eltern eigentlich?)

In Anbetracht der Tatsache des Sturzes hätte ich auch noch , sofern nicht von Haus aus alarmiert, die POL dabei (Wird zwecks NAH zwar so oder so kommen…aber trotzdem)

Btw: RTW = RTW oder T6.1 Hochdach mit Flügeltüren? (Dann überleg ich mir den Transport ins Auto zwecks Zugang zum Patienten)

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ist hal sehr blöd so, va zu zweit

xABCDE wurde bereits mehrfach erwähnt. Wirklich bergen macht zu zweit wenig sinn, Va kommt eh der Hubschrauber (der den auch mitnehmen wird).

dh Ziel ist primär mal auf eine Vakuum zu kommen, wärmeerhalt und potentiell noch ein Venflon für Analgesie. Das ist schaffbar, aber in dem Setting ziemlich sportlich

Bevor wir ihn in Rueckenlage bringen schauen wir uns bitte noch den Ruecken an.

7Jahre als Alter stimmt?

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Danke bis jetzt für eure Antworten und Gedankengänge!

Beim näheren Herantreten wurde klar, dass – ohne das Kind umzudrehen – keine äußeren Verletzungen erkennbar waren, außer klar frakturierten Unterschenkeln. Ein Umdrehen war ohne Analgesie praktisch unmöglich.

Als RTW stand uns lediglich ein T6 zur Verfügung, sodass eine vollständige Behandlung im Innenraum kaum möglich war. Ein Monitoring gestaltete sich schwierig, da die Arme in einer ungünstigen Position lagen und ohne Schmerzen kaum zu bewegen waren.

Primärer Survey (ABCDE)

•	**X:** keine relevanten Blutungen

•	**A:** Atemwege frei

•	**B:** AF 20–25/min, beidseits belüftet, keine Nebengeräusche auskultierbar (laute Umgebung), SpO₂ 97 %

•	**C:** Puls 150/min, RR aufgrund Armstellung nicht messbar, Haut etwas blass

•	**D:** neurologischer Status nicht systematisch erhoben; Motorik nicht eruierbar; Schmerzreaktion nur bei Manipulation der Beine → Unterschenkelfrakturen (geschlossen)

•	**E:** keine weiteren Auffälligkeiten ersichtlich

SAMPLER: nicht erhebbar, einzig das Alter wurde von Schulfreund bestätigt.

Maßnahmen bis zum Eintreffen des NAH

•	Versuch eines **Monitorings** und **psychosozialer Betreuung** (bedingt erfolgreich)

•	**Zivi**: Ketanest + Midazolam aufgezogen, Infusion und O₂ vorbereitet, Wärmeerhalt organisiert

•	**NKV**: Trauma-Check durchgeführt (bis auf Unterschenkel vorerst unauffällig)

•	Polizei stellte **MILS** sicher

•	NAH-Crew: rasch Analgesie → gemeinsames Umdrehen mit Schaufeltrage

•	Unterschenkel mit **SAMSplints** stabilisiert

•	Eine RSI stand präklinisch nicht zur Debatte, wurde aber im Schockraum durchgeführt

Das CT im Schockraum ergab keine weiteren Verletzungen außer der schweren Unterschenkelfrakturen. Weiterer Verlauf leider unbekannt.

Persönliche Reflexion

Auch als Zivi, mit vielen Einsatzerfahrugnen , hat mich diese Alarmierung sehr nervös gemacht. Trotzdem konnte der Einsatz extrem ruhig und professionell abgearbeitet werden – auch wenn die ununterbrochenen Schreie psychisch fordernd waren.

Besonders positiv war die Antizipation der Maßnahmen: Als das NA-Team eintraf, konnte sofort mit den Schritten begonnen werden, die außerhalb unseres Scopes lagen. Insgesamt dauerte es trotzdem nur 50 Minuten von Alarmierung, bis ins KH.

Debatte

Vieles, was ihr bereits geschrieben habt, war absolut richtig und deckt sich mit den getroffenen Maßnahmen. Dennoch würde mich interessieren:

•	Was würdet ihr zusätzlich antizipieren?

•	Auf was legt ihr in einem solchen Setting besonderen Wert?

•	Welche Tipps habt ihr aus ähnlichen Trauma-Einsätzen?

Es war zwar kein klassisches Fallbeispiel“mit Ratespiel und Verdachtsdiagnosen, aber mir war wichtig, diesen Einsatz zu schildern weil er mich persönlich sehr geprägt hat. Er hat mir gezeigt, dass ich auch unter hoher psychischer Belastung ruhig und handlungsfähig bleiben kann.

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Danke für die Schilderung des Einsatzes.

Zu Zweit in kurzer Zeit gut antizipiert und vorbereitet.

Du schreibst “O2 vorbereitet” und “Wärmeerhalt vorbereitet”. Das würde ich auch vor Eintreffen des NAH durchführen/geben.

Sollte der NA länger brauchen, wäre für mich Ketanest nasal noch eine Option.

Wo sind eigentlich die Eltern? Oder war der 7Jährige alleine zu Hause?

Mein Gedanke dazu: Eigentlich ist ja gerade das schwere Trauma sehr unkompliziert. Wir müssen “nur” schauen, dass die Patient:innen nicht auskühlen und schnell auf die Vakuum kommen, dass sie rasch verflogen werden können. Das ist vom Plan her sehr simpel.

Die handwerkliche Umsetzung im echten Leben ist meist herausfordernd:

  • Wie krieg ich den schnell auf die Vakuum (da raus, da rauf, da runter, da umgegedreht… brauch ich vorher eine Analgesie, wie viel Personal brauch ich…)?
  • Muss ich sofort irgendwelche Vitalfunktionen behandeln (Thoraxdrain, Atemweg sichern, Analgesie, Volumen…)?

Und die beiden Punkte machens dann halt hin und wieder herausfordernd. Aber im Prinzip gibts immer das gleiche Ziel. Das ist viel einfacher, als die Optionen bei kranken Patient:innen.

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Ja, wurde beides vorher appliziert. Habe mich vertippt.

@leibschüsselfahrer völlig richtig!

Jedoch gilt es fixierungsfehler zu vermeiden und ein gutes Aufgabenmangement zu schaffen.

Wie verteilt ihr bei Trauma die Rollen wenn ihr zu zweit seid?

Grundlegend so wie ihr es gemacht habt.

Höhere Ausbildung macht xABCDE

Zweiter arbeitet zu.

Nach dem xABCDE gibt es ein 10 4 10 und es werden die weiteren Schritte besprochen.