Angst vor Kindernotfällen als Vater

Hallo liebe Kollegen,

das ist mein erster Beitrag hier, und ich möchte gleich mal ein schwieriges und eher persönliches Thema ansprechen.

Ich bin seit über 20 Jahren im Rettungsdienst in allen möglichen Funktionen tätig. Ich würde mich eher als der abgebrühte Typ bezeichnen. Wirklich mitgenommen hat mich bis her kein Einsatz. Vielleicht mal ein paar Tage ein schlechtes Gefühl wenn wirklich schlimme Bilder im Spiel waren.

Ich bin vor 4 Jahren Vater geworden. Seit dem wird von Dienst zu Dienst die Angst schlimmer, zu einem dramatischen Einsatz mit Kindern gerufen zu werden. Ich denke viel darüber nach, und ich glaube der Worst Case wäre ein schwerverletztes Kind im selben Alter meines Sohnes, ein misshandeltes oder vernachlässigtes Kind oder noch schlimmer ein Kind das beim Einsatz seine Eltern verliert.

Ich habe keine Angst davor, nicht richtig reagieren zu können. Ich habe auch einen EPC Kurs gemacht und mich viel mit dem Thema pädiatrische Notfälle beschäftigt.

Meine Angst ist, dass so ein Einsatz meine Karriere im Rettungsdienst für immer beenden würde und ich danach psychisch komplett am Sand wäre.

Geht es wem von euch auch so? Hattet ihr schon solche Situation und wenn ja: wie seit ihr damit umgegangen? Habt ihr Tipps für mich?

Schönen Tag noch und liebe Grüße.

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Als Tipp von einem Vater an einen Vater, das Positive in den Fokus rücken.

In meiner Erfahrung fällt es mir bei Einsätzen mit Kinder der Umgang mit Kind und Eltern leichter seit ich selbst Vater bin. Die „Klassiker“ Pseudokrupp und Fieberkrampf laufen so viel entspannter ab. Ich denke das deine Pat von deiner Vaterschaft eher profitieren. Das soll nicht bedeuten dass kinderlose Sani generell nicht gut mit Kinder können!

Die wesentlichen Schritte um in der Situation handlungsfähig zu sein hast du ja schon gesetzt, Kurse besuchen, Gedankenmodelle (Beurteilungsdreieck, ABCDE,…) zurecht legen und in der Situation abarbeiten. Sofern gleichwertige Qualifikationen vor Ort sind kann man ja vielleicht bei der Anfahrt darüber sprechen und eher eine unterstützende Rolle einnehmen.

Ich denke es ist nicht hilfreich sich zu verrückt mit was wäre wenn Szenarien zu machen. Das wird der Einzelfall zeigen und du musst dann entsprechend darauf reagieren und Hilfe in Anspruch nehmen.

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Ich konnte nachdem ich Vater geworden bin auch so eine innere erhöhte Vigilanz bei mir feststellen wenn es um Kindernotfälle geht. Von Angst dürfen wir in diesem Kontext aber glaub ich nicht sprechen (und das ist mein erster Tipp) sondern mehr von Respekt, da Angst als hemmend bezeichnet werden kann.

Als ich dann immer wieder mal in den Dienst ging und auch ab und an Kindernotfälle hatte, hab ich mich aufgrund des erhöhten Respekts nicht wohlgefühlt, weil ich auch alles auf meine Kinder projeziert habe - überhaupt wenn es Kinder im gleichen Alter waren. Ich glaube das ist eine Art Reflex den wir haben. Ich hab dann über das Thema nachgedacht und mir ist aber auch aufgefallen, dass ich im Umgang mit Kindern (Ansprache, Themen über die man reden kann, Ablenkungs-Strategien, etc.) viel sicherer geworden bin als vor der Zeit als ich selbst Kinder hatte. Dies führte mich zu der Konklusio, dass das projezieren nicht notwendig ist (das ist der zweite Tipp), und ich dem Respekt damit begegnen kann, dass ich den Eltern gegüber kompetent und ruhig auftreten kann da ich aus dem eigenen Erfahrungsschatz profitiere indem ich diese Situation besser abhandeln kann, weil ich selbst Vater bin. Ich habe also den Respekt in was Gutes umgewandelt und das ist mein dritter Tipp.

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Bzgl .dem Umgang mit Kindern kann ich euch beiden auf jeden Fall beipflichten. Leichtere „Notfälle“ fallen mir seit ich Vater bin erheblich leichter. Dinge wie Nureflexsaft, Quetschi, wie wichtig genau der eine Schnuller sein kann und co kannte ich früher nicht. Und ich weiß jetzt auch das weniger Maßnahmen oft mehr sind und eine leicht blutende Wunde dann halt eben nicht gegen Widerstand verbunden wird. Oder bei einem rosigen Kind dann halt eben keine Sättigung gemessen wird.

Mir ist es ziemlich gleich ergangen seit ich Vater bin :wink:

Aber wie viele schon sagten: Die „08-15“ Notfälle laufen viel entspannter ab und bei den schwerwiegenderen Sachen kommt einfach das automatisierte Abarbeiten ins Spiel.

Mir persönlich hat das offene Reden mit Partnerin und Kollegen immer sehr geholfen um mit der Situation besser umzugehen.

Viele Einsätze haben mich vor der Vaterschaft schon noch eine Zeit lang beschäftigt. Aber seit ich selber Kinder habe, gingen mir div. Dinge noch näher und hingen auch länger nach. Besonders Fälle von Kindesmisshandlungen..

Schlussendlch ist es aber wie wie bei jedem anderen Einsatz auch. Es geht vorbei mit der Zeit. Darüber zu sprechen hilft. Evtl. auch mit der Partnerin.

Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass es wirklich mal einen Einsatz gibt der dich kaputt macht. Ganzt unabhängig davon ob du Vater bist oder nicht. Wenn grade die richtigen Faktoren zusammenkommen, kanns vorbei sein.
Ging einem Kollegen so der nach 30 Jahren Hauptamtlichen Dienst nach einer Kinderreanimation den Dienst quittiert hat. Obwohl er schon zahllose miterlebt hat.

Ich kann die oben genannten Erfahrungen auch für mich bestätigen.

Meine Kinder sind jetzt schon etwas älter (~ 10) und speziell am Anfang hat mich das alles, was du genannt hast, ebenfalls in ähnlicher Weise beschäftigt.

Ich habe einmal beim Unterrichten einer Kinderreanimationsfortbildung - da war mein erstes Kind gerade in der Größer der Säuglingspuppe - wirklich zum Heulen begonnen und ein paar Minuten gebraucht, um mich wieder zu fangen.

Jetzt geht es mir nicht mehr so, wie du beschreibst.

Vielleicht ist das so, weil ich recht am Anfang meiner Rettungsdienstkarriere nach einem Verkehrsunfall ein Kind reanimiert habe, dass nicht nur schiach ausgeschaut hat, sondern auch (logisch) verstorben ist. Dieses Ereignis habe ich mit Peers gut aufgearbeitet und bin für mich - ich bin halt ein sehr rationaler Mensch - zum Schluss gekommen, dass ich einfach akzeptieren muss, dass Kinder sterben. Tun sie jeden Tag. Nur an den meisten Sterbefällen sind Unterernährung, fehlende Impfungen usw. schuld. Die Kinder bei uns haben eigentlich ziemlich gute Chancen und wir tun auch ziemlich viel dafür, dass sie Überleben, sogar wenn es einen schlimmen Unfall gibt.

Dass ich mir diesen schiachen Unfall anschauen muss (=das Leid selbst sehe) macht keinen Unterschied, das passiert auf der Welt jeden Tag. Die Welt ist so. Wenn ich dazukomme und mir dieses Unglück anschauen muss, dann habe ich das große Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ich bin nämlich ein verdammt guter Sanitäter, habe auch so ziemlich alle Kinderkurse gemacht, bin gut vorbereitet und habe deshalb gute Chancen, das Ruder noch herumreißen zu können. Deshalb ist es das beste für alle Beteiligten, wenn ich dort hinfahre - für das Kind und für mich.

Ich hatte seit dem noch zwei verstorbene Kinder, und dieser Coping-Mechanismus hat für mich funktioniert.

Abschließend noch etwas: Ich bin weder Peer noch sonstwie Fachkraft, „nur“ sehr erfahrener NFS. Nach dem was ich gelernt habe, ist das, was du erlebst, nicht mehr „normal“ oder OK. Ich denke, du solltest dir Hilfe suchen. (Und ja, es gibt Hilfe - und das wird auch was bringen.) Bitte tu was, zumindest ich mach mir Sorgen um dich.

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Danke für die vielen aufbauenden Antworten. Eure Meinungen als langjährige Sanitäter und Väter haben mir wirklich weiter geholfen das ganze aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Wie es dann im Ernstfall wirklich ausschaut kann man im Vorhinein sowieso nicht wissen. Danke nochmals.

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Kindernotfälle sind immer blöd. Auch wenn es schwer fällt, solltest du deine Ängste klar kommunizieren, vorallem im Team mit dem du gerade unterwegs bist. Hatte jetzt schon zwei mal den Fall, dass ich zu Schulfreunden meiner Kinder mußte, da informiere ich das Team darüber, dass ich die Kenne. Damit sind sie auch vorbereitet wenn ich vom Einsatzstandard abweiche.

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#throwbacktime ich weiß auch noch wie unser Sohn das erste Mal einen Pseudokrupp hatte, so schnell hab ich gar nicht schauen können war ich plötzlich „imDienst“ so ganz ohne Pager und Anfahrt geschweige denn Equipment.

Unsere Kids sind schon 13/15a also komme ich langsam in den Abschnitt „ob ich heute im melkerkeller wohl meine Teens antreffe“ :hugs: na Spaß hat noch Zeit.

Du wirst Kindernotfälle ein wenig anders sehen als Kollegen und gerade deshalb viell auch empathischer, orientierter handeln.

Gerade als Vater weiß man wie wichtig es ist die Eltern in die Behandlung miteinzubeziehen und sogar auf manches zu verzichten (ohne Schaden für den pat zu riskieren) damit einerseits nicht 2 weitere Patienten dazukommen, andererseits man nicht plötzlich 2 wütenden Löwenverteidigern gegenüber steht.

Diese Feinheiten kann kein Lehrsaal lehren, nur die Praxis als Elternteil.

Beim Gros der Einsätze wird es sich um Fiebernde, Krampfende, Hustende kleine Patienten handeln- zumindest laut meiner persönlichen Statistik. Da kann man als Elternteil punkten bei den ängstlichen Angehörigen da man ja nicht nur Sani ist sondern auch „Leidensgenosse“.

Ich habe früher (als wir noch Snaw gefahren sind) immer lange an den Schwedenstift Transporten (Heim für Schwerst Behinderte Kinder , Heimrespirstor etc) geschluckt- das trifft einen als Elternteil dann doch mehr als man sich gedacht hätte. Da hilft aber nur Reden, Reden und wenn man einfach das Leben feiert und nicht wie halb Österreich nur suddert kommt man über diese Schattenseiten unseres Berufes auch super hinweg.
Ansonsten wurde hier schon alles gesagt und ich kann den vorpostern nur beipflichten

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Um gleich deinen Beitrag aufzugreifen - können wir einen kleinen Abschweifer wagen und die Frage in den Raum werfen, was ihr Väter (oder Mütter) im Rettungsdienst uns (noch) nicht - Eltern mitgeben würdet für Kindernotfälle?

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Also ich würde zuerst mal sagen, dass es sehr darauf ankommt wie alt das Kind ist. Und um was für einen Notfall es sich handelt. Bei einer Lebensbedrohung musst du sowieso kompromisslos handeln. Bei allen anderen Notfällen (Fieberkrampf, Pseudokrupp, Wunden,Brüche usw.) würde ich bei Babys und Kleinkindern immer alleine den Raum betreten. Ruhe ausstrahlen. Ausrüstung vielleicht vorm Raum stehen lassen. Nur eine Person spricht. Ruhig und leise. Funkgerät leise drehen. Das Kind immer bei dem Eltern lassen. Zu nichts zwingen. Keine Werte usw. erhebn wenn das Kind schreit und stabil wirkt. Im Zweifel auch auf Wundversorgung und co verzichten.

Bei älteren Kindern ab dem Volksschulalter kann man dann schon Scherze mit den Kindern machen oder ihnen coole Ausrüstung zeigen. Und alles ganz genau und kindgerecht erklären.

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Mal im Umfeld dea Kindes umsehen was kommt mir da bekannt vor? Irgendwelche Pokemons, Paw Patrol, Drachen, Dinos oder was sonst so gerade in der Phase angesagt ist.

Darüber ein Gespräch aufbauen, versuchen ein Minimum an Vetrauen zu gewinnen. Eltern aktiv einbeziehen (" wenn Mama und Papa den fremden Mann moegen kann er nich so boese sein"). Nichts erzwingen wollen, langsam vorgehen und Untersuchung und Massnahmen eher spielerisch einstreuen. Verneblermaske wird zum Spiel „Wolken fangen“, die Mama beginnt, schaffst du mehr?

Nur als Beispiel.

Was auch immer wieder mal funktioniert, das Kind schaut mit Mama und Papa die Lieblingsserie oder das Lieblingsbuch. Ich sitz einfach daneben und gehe fast beiläufig mein ABCDE durch

Das ist so mein Modell bei den 08/15 Kindereinsätzen. Wenn das Kind kritisch ist dann wird natürlich zuerst gehandelt.

Einfach auf euer Bauchgefühl als Eltern vertrauen und euch nicht auf das Bauchgefühl als Retter. Wenn erstes sagt ihr wollt ins Krankenhaus, dann fahren und nicht herauszögern weil zweites sagt, ich hab schlimmeres gesehen wir müssen noch nicht fahren.

Gute Frage, was können Rettungs-Eltern nicht-Eltern in Bezug auf Kinder mitgeben. :wink:

Ich kann mit dem Satz: „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.“ ganz wenig anfangen, weil er die Unterschiede in den Mittelpunkt stellt und nicht die Gemeinsamkeiten. Und dann werden alle ganz nervös und kennen sich nicht mehr aus. Deshalb finde ich: „Kinder sind auch nur Menschen“.

Ja, sie haben ein paar Spezialitäten, aber so lange Luft rein und rausgeht und Blut im Kreis ist alles gut.

So, jetzt zu meinen persönlichen Tipps (eminence-based…).

Ich komme mit Kindern in der Regel sehr gut zurecht, weil ich sehr auf mein Verhalten achte und mich sehr zurücknehme. Pädiatrisches Beurteilungsdreieck funktioniert aus 2 Metern Entfernung auch. Ein Kind mit einer offensichtlichen Pseudokrupp (Alarmierung plus Eltern-Erstauskunft plus massiver inspiratorischer Stridor passen alle zusammen) - bei der Mama im Arm und weint/brüllt/ist aufgeregt? Es gibt keinen Grund, dass ich als Sanitäter da jetzt hingehe und mir das Kind genauer anschaue. Die Verdachtsdiagnose passt auch aus 2 Metern Entfernung, die Maßnahme (Adrenalin vernebeln) hat quasi keine Kontraindikationen. Natürlich wäre es gut, das Kind ein bisschen untersuchen zu können - aber das geht halt nicht in so einer Situation.

Halte dich in so einem Fall vom Kind fern, im Idealfall hast du zwei Elternteile, binde die ein und während ein Elternteil versucht, das Kind zu beruhigen, soll das zweite die Verneblermaske irgendwie in die Nähe halten.

Das geht alles aus der Entfernung. Und nochmal: Du brauchst keine Sättigung, kein EKG, schon gar keinen Blutdruck. Das bringt alles nichts in dieser Situation. Kinder werden eh blau und vigilanzgemindert, wenns kritisch wird. Das sieht man viel schneller als bei Erwachsenen.

Achte auf dein Auftreten. Sei nicht laut, knall nicht mit deinem Gepäck rum usw.

Aber ganz klar: Ist das Kind blau, ist es vigilanzgemindert - dann tu was, dann gehts um den Notfallmodus beim Arbeiten.

Also vielleicht ist das ja eine Beruhigung: Die im Umgang herausfordernden Kinder - die sind vital stabil. Die Kinder, die sich widerspruchslos behandeln lassen, haben entweder ein unglaubliches Grundvertrauen in die Welt - oder sind kritisch krank.

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Vll. noch der Hinweis, dass bei kleinen Kindern O2 fast immer Mittel der Wahl ist.
Man würde sich wundern wie biele kritische Kinder mit ein bisschen O2 therapiert werden können.

Und auch ganz wichtig. Ruhiges Verhalten am Einsatzort ist schon mehr als die halbe Miete (nicht nur, aber besonders bei Kindern).

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