Hut ab, ein tolles System. Ähnlich der Realzeitanalyse auf den US-Leitstellen. Ich frage mich nur, ob die Idee für Deutschland angewendet werden kann.
Versteht mich nicht falsch, aber was nutzt ein solches Scoring System, wenn an vielen Klinikpforten im Land die notfallmedizinische Versorgung endet. Einige
Schwankgeschichten aus meinem Alltag der letzten Jahre:
-Ich wollte vor einigen Jahren eine bekannte junge Patientin im Schockraum anmelden, die aufgrund ihres langjährigen Drogenabusus und einer HI-Infektion das
„Palliativstadium“ erreicht hatte. Die Patientin wohnte in einer Sozialwohnung einige Hundert Meter unterhalb des Krankenhauses. Daher entschlossen wir uns,
die Patientin trotz des schlechten Allgemeinzustandes ohne Notarzt in den Schockraum zu transportieren. Als ich die Patientin am Telefon anmelden wollte,
meinte Schwester Hildegard nur „von Rettungssanitätern nehmen wir keine Schockraumanmeldung entgegen!“ und legte auf. Wir brachten die Patientin trotzdem
in den Schockraum, was hohe Wellen schlug.
-Wir hatten einen jungen Patienten nach einem Hochgeschwindigkeitsunfall im Schockraum angemeldet. Bei unserem Eintreffen war der Schockraum dunkel.
Schwester Hildegard tauchte nach einigen Minuten auf und meinte: „Die sind alle schon wieder weg, denen ging das Warten zu lange und ich soll sie nochmal
anpiepen, wenn ihr da seid.“
-Ich hatte Dienst auf der Leitstelle, als mir eine unangesagte Katastophenschutzübung des zuständigen Amtes gemeldet wurde. Diese Übung entwickelte sich
im Verlauf zu einer Katastrophe . Ein neues System wurde getestet, bei dem die zuständigen Kliniken ein Alarmfax mit Vorinfo erhielten, auf denen der
„Bettenstatus“ abgefragt wurde (Wie viele Notfallpatienten können aufgenommen werden). Während der Übung klingelte die „112“ und Schwester Hildegard
meldete aufgeregt den Bettenstatus mit den Worten „54“ (zur Info: kleineres Krankenhaus). Sie hatte einfach alle freien Betten auf den Stationen und der
Bettenzentrale gemeldet.
-Was ich regelmäßig erleben durfte, war das Entfernen sämtlicher Immobilisationsmaterialien durch Schwester Hildegard nach unserem Eintreffen. Zitat:
„So eine Halskrause ist unbequem und in der Vakuummatratze können wir sowieso nicht röntgen.“ Ebenso verhielt es sich regelmäßig mit dem Sauerstoff.
Einmal wurde es beinahe lebensbedrohlich als Schwester Hildegard die Klebeelektroden des laufenden Schrittmachers entfernte.
-Das Zitat von Schwester Hildegard, wenn wir einen Patienten ohne Notarzt ins KH brachten: „Legt ihn mal irgendwo auf den Gang, ich komm dann später“
Übergaberapport Fehlanzeige.
-Als Rettungsdienstleiter gab es in mein RD des Öfteren Diskussionen, in welches KH welche Patienten gebracht werden sollten. Also fragte ich schriftlich
das Leistungsspektrum der umliegenden KHs ab. Beim größten KH meldete sich Dr. Brinkmann persönlich bei mir und schimpfte, dass sein KH selbst-
verständlich sämtliche Notfälle behandeln könne (kein Haus der Maximalversorgung).
Ich fing an aufzuzählen: „Also auch Hirnblutungen.“
Dr. Brinkmann: „Nein, wir haben ja keine Neurochirurgie, aber sonst alles.“
Ich: „Also auch Tauchunfälle und CO-Vergiftungen.“
Dr. Brinkmann: „Nein, wir haben ja keine Druckkammer, aber sonst alles.“
Ich: „Also auch Verbrennungen oder hämorrhagische Fieber.“
Dr. Brinkmann: „Nein, wir haben ja keine Tropenklinik und keine Verbrennungsstation, aber sonst alles.“
…
Also eine Klinik der Maximalversorgung, die sonst alles versorgt
-Während meiner Ausbildung zum Rettungsassistenten war ich auch einige Zeit in der Notaufnahme. Nach dem Mittagessen fiel mir im Warteraum eine Mutter
mit Kind ins Auge, die von der Notaufnahmesekretärin ins Wartezimmer gesetzt worden war, da die Ärzte Mittagspause hatten. Das Kind hatte sichtbar keinen
Tonus und war tief zyanotisch. Ich begann sofort mit der Wiederbelebung. Leider konnte Schwester Hildegard weder einen Kinderbeatmungsbeutel finden,
noch die monströse, historisch wirkende elektrische Absaugpumpe in Betrieb nehmen. So kam es, dass ich die einzige Mund-zu-Mund-Beatmung in meiner
Karriere in einem KH durchführen durfte. Nachdem die Ärzte nach einer gefühlten Ewigkeit auftauchten, konnte ich feststellen, dass sie mit der Situation
weit mehr überfordert waren als ich selbst (Das KH verfügte weder über Kinderstation noch über einen Pädiater. Der Gynäkologe war schließlich der einzige
Arzt, der wusste was zu tun war). Leider gab es bei dieser Geschichte kein Happy End.
-Wir standen nach einem Einsatz noch vor der Fahrzeughalle des KHs in der Sonne, als ein Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit in die Rettungswageneinfahrt
einbog. Ein älterer Mann hatte seine bewusstlose Frau auf den Beifahrersitz geschnallt. Wir besorgten eine Trage auf der Notfallstation und halfen Schwester
Hildegard, die Patientin in den Notfall zu schieben. Schnell stellte sich heraus, dass die Patientin Diabetikerin war und aktuell unter einem Unterzucker litt.
Die Internistische Assistenzärztin der Notfallstation meinte nur, dass es ihr streng verboten sei, ohne den Oberarzt Medikamente zu verabreichen und verbot
uns, Glucose intravenös zu verabreichen. Die Patientin musste minutenlang auf das Eintreffen des Oberarztes warten.
Ich könnte noch hundert andere Geschichten aus meinem bisherigen Berufsleben zum Besten geben. Fakt ist doch: In vielen deutschen Krankenhäusern gibt
es keinen einheitlichen Versorgungsstandard, keine funktionierenden hausinternen Notfall- und Reateams, keine Notaufnahmen, die diesen Namen verdient
hätten, keine Notfall- oder Schockraumkonzepte, keine qualifizierten Notfallfachärzte, keine geeignete Infrastruktur, keine qualifizierte Notfallfachpflege,
kein Aufnahmekonzept, kein Triagesystem, keine Personendekontamination, kein klares Leistungsspektrum … .
Vielleicht sollte das gesamte Gesundheitswesen einschließlich des Rettungsdienstes das System und das Handeln am Patienten kritischer betrachten, um dadurch
dlich etwas zu verbessern. Leider gibt es in der Medizin weder Fehler noch Schwächen .
Selbstverständlich sind alle Namen geändert.