
[size=85]Der Rettungshubschrauber kommt auch, wenn ein Patient in eine entfernte Spezialklinik muss oder wegen einer Verletzung der Wirbelsäule nicht auf der Straße transportiert werden kann. © dpa[/size]
Kommt der Rettungswagen und der Notarzt zu spät, sterben Menschen. Deswegen gibt es für den Rettungswagen sogenannte Hilfsfristen, wann dieser vor Ort sein muss. Diese Fristen würden auf dem Land, so der Vorwurf, oft nicht eingehalten. Aus Kostengründen würden auch Notärzte eingespart und Rettungswachen geschlossen.
Deutschland, so sein Ruf, hat eine der besten Notfall-Versorgungen in der Welt, was die medizinischen Standards, die Ausrüstung der Rettungswagen und die Ausbildung des Personals angeht. Diese Faktoren sind auch wichtig, denn in vielen Notfällen entscheidet die Qualität der Hilfe und wie schnell sie erfolgt über Leben und Tod.
Schlaganfall - jede Minute sterben Nervenzellen

© SWR Lupe - Notarzt Benny Benker aus Neustadt a.d. Weinstraße
Bei einem Herzkreislaufstillstand beträgt die Überlebenschance 75 Prozent, wenn die Wiederbelebung innerhalb von wenigen Minuten erfolgt. Nach 15 Minuten und mehr beträgt die Chance nur noch fünf Prozent. Auch bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, die beide meist durch ein Blutgerinnsel ausgelöst werden, muss das Wiederauflösen der Verstopfung (Lyse) so schnell wie möglich erfolgen. Jede Minute sterben Gewebezellen im Hirn oder im Herzmuskel unwiederbringlich ab. Beim Hirnschlag kann das Entscheiden, ob der Patient wieder gesund wird oder gelähmt im Rollstuhl sitzt.
Rettung muss in 10 - 17 Minuten vor Ort sein

© SWR Lupe - Rettungsassistent Mottl
Deshalb ist in Deutschland festgelegt, dass in 10 bis 17 Minuten, so die gesetzliche Vorgabe, ein Rettungswagen bei Lebensgefahr vor Ort sein muss. Von Bundesland zu Bundesland ist die Frist leider unterschiedlich. Positives Vorbild sind Hessen und Hamburg mit einer 10-minütigen Frist, Schlusslicht Thüringen mit 17 Minuten. In den Städten wird diese Zeitspanne von den Berufsfeuerwehren und den anderen Rettungswagenbetreibern meist deutlich unterschritten. In dünn besiedelten Regionen kann es aber auch vorkommen, dass die Fristen nicht eingehalten werden. Nach Recherchen des Hessischen Rundfunks (siehe Links) halten mehr als die Hälfte der 26 Landkreise und kreisfreien Städte die gesetzliche Hilfsfrist nicht ein. Teilweise liegen die Zeiten deutlich über den geforderten 10 Minuten.
Wenn alle Retter unterwegs sind
Auch in Baden-Württemberg werde immer wieder die 15-minütige Hilfsfrist überschritten, das berichten die Lokalzeitungen. Wie kommt es zu solchen Missständen? Die Hilfsfrist für einen Rettungswagen wird zuerst theoretisch ermittelt. Die Rettungswachen werden so verteilt, dass keine Abdeckungslücken im Umkreis einer Fahrtzeit von x Minuten entstehen. Doch ist dieser Rettungswagen im Einsatz, muss die benachbarte Rettungswache aushelfen. Dieser hat dann einen längeren Anfahrtsweg. Dass alle Rettungskräfte einer Wache im Einsatz sind, ist nicht unüblich, und es können unmöglich so viele Fahrzeuge vorgehalten werden, dass dieses nie passiert. An sonnigen Wochenenden mit hohen Temperaturen sind viele Menschen aktiv und es kann passieren, das extrem viele Einsätze gefahren werden müssen und die Fristen nicht eingehalten werden können. Laut einer Auskunft des Baden-Württembergischen Landtags erreichen im Durchschnitt 92,4 Prozent aller Noteinsätze ihren Einsatzort in weniger als 15 Minuten nach der Alarmierung.
Rettungsreserve kommt aus der Luft
Mit dem Eintreffen des Rettungswagens ist das Warten noch nicht vorbei. In vielen Fällen - bei Herzinfarkten, Schlaganfällen und schweren Unfällen - ist ein Arzt zwingend erforderlich. Nur er darf bisher eigentlich Medikamente verabreichen und „invasive“ Maßnahmen durchführen, wie einen Tubus oder Zugang legen. Die Dichte an Notärzten in einem Landkeis oder Stadt ist bei Weitem nicht so hoch, wie die der Rettungswagen. Das ist auch nicht notwendig, da viele Einsätze auch ohne Arzt ablaufen können. Zum Teil werden die Ärzte erst von den Sanitätern an der Einsatzstelle nachgefordert. Deswegen sind die Ausrückzeiten der Notärzte in der Regel länger als die der Rettungswagen. Als „Backup“ und für besonders kritische Fälle stehen in Deutschland ungefähr rund 70 Rettungshubschrauber zur Verfügung.
Die Besatzungen der Rettungswägen sind auch bei schwierigen Notfällen in der Lage, bis zum Eintreffen des Arztes lebenserhaltenden Maßnahmen durchzuführen. Das Notfallsanitätergesetz, welches seit 2014 in Kraft ist, erlaubt ihnen, unter bestimmten Voraussetzungen Notfallmedikamente zu geben. Ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Notfallversorgung. Doch die rechtlichen Rahmenbedingungen erscheinen nicht ausreichend. Die Retter müssen sich auf einen „übergesetzlichen Notstand“ berufen, wenn sie ärztliche Maßnahmen durchführen. Diese Notkompetenz bezieht sich auf explizit aufgeführte Maßnahmen, die eigentlich einem Arzt obliegen, doch im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes durchgeführt werden dürfen.
Anzahl der Einsätze steigt, Kosten auch

© SWR Lupe - Rettungsassistent Mottl
In den letzten Jahrzehnten steigt die Anzahl der Einsätze kontinuierlich. Doch die Anzahl der Fahrzeuge, der Mitarbeiter und der Einsatzwachen steigt nicht im selben Verhältnis, berichten die Notärzte vor Ort. Das Land Baden-Württemberg gibt an, dass die Kosten für das Rettungswesen pro Jahr und Einwohner von 32 Euro 2010 auf 40 Euro 2013 gestiegen seien. An Informationen, wo nachgebessert werden muss, kommt man dagegen nur schwer.
Gerade in Zeiten einer zunehmend alternden Bevölkerung würden sich die Folgen immer stärker bemerkbar machen: Immer öfter würden die Retter bei Notfällen zu spät kommen, so klagt das Rettungsdienstpersonal.
Sehen Sie am Freitag, 17. Juli 2015, 20.15 Uhr eine Film von Judith Schneider, in dem Notärzte und Rettungsassistenten zu der Situation der Rettungswesens in Neustadt a.d. Weinstraße und in Segeten im Süden Baden-Württembergs nahe der Schweizer Grenze berichten.