Unklares EKG bei kritischer Patientin

Hallo allerseits,

Nach einiger Zeit als stiller Mitleser möchte ich mich nun selbst mit einer Frage bzw. einem konkreten Case an euch wenden. Mein Ziel ist neue Perspektiven zu gewinnen, womöglich kennt ja jemand sogar eine geeignete Quelle zu meiner Frage.

Vorweg kurz der Case:
Alarmierung zu einem 31C02 (Kollaps bei bekanntem Herzleiden), lt. Alarmierung 77-Jährige Patientin mit MCI-Vorgeschichte
Bei Eintreffen begegnet uns die Pat wach und sofort auf uns reagierend im Außenbereich eines Kaffeehauses. Da sie im ersten Eindruck nicht unmittelbar kritisch wirkt, wird beschlossen, rasch mit ihr in den nahen RTW zu gehen, um sie vor Schaulustigen sowie den hohen Außentemperaturen abzuschirmen.
Die Patientin schildert, nach einem kurzen Schwindelanfall kollabiert zu sein, Mitarbeiter des Kaffees hätten dies beobachtet und anschließend den RD alarmiert.
Sie ist 77 Jahre alt und hatte vor 10 Jahren einen Herzinfarkt. Die Patientin ist zum Einsatzzeitpunkt symptomfrei, gibt aber an, die Symptomatik sei bei ihrem MCI damals ebenfalls nur auf Schwindel und Kollaps beschränkt gewesen.

A: frei; keine path. AG
B: Eupnoe; keine Zyanose; bds. suffiziente Thoraxexkursionen; normales AZV; bds. VAG
C: Haut kühl, rosig, schweißig; Radialispulse bds. nicht tastbar, Carotispuls flach, stark tachykard; Rekap peripher bei ca. 3 Sekunden
D: Neurologisch grob unauffällig

Das 4-Kanal-EKG zeigt schwankende HF zwischen 130 und 195, im Mittel lag die Frequenz bei um die 180. Eine Blutdruckmessung scheitert an beiden Armen sowohl oszillatorisch als auch auskultatorisch.
Ein NEF wird angefordert, zeitgleich wird ein 12-Kanal-EKG geschrieben. Es wird auch ein AVISO angefragt. Die Leitstelle meldet zurück, dass ein NEF frühestens in 20 Minuten am BO sein könne, ein AVISO für ein Schwerpunktkrankenhaus habe stattgefunden. Aufgrund der kurzen Fahrzeit von ca. 10 Minuten wird beschlossen, die Patientin unter laufendem Monitoring ohne NEF-Begleitung auf die Intensivstation zu bringen. Dort wird sie in unverändertem Zustand übergeben.


EKG mittles KI digitalisiert

Nun zu meiner Frage:
Wie empfindet ihr die ST-Senkungen sowie die Hebung in aVR?
Mein Praxisanleiter führte die Senkungen auf die HF zurück, mir stellt sich nur die Frage, ob die Senkungen in dieser Ausprägung noch tachykardiebedingt sein können. Auch der OA auf der Intensivstation meinte initial, für ihn sähe das EKG auch nach Hauptstamm aus.
Kennt von euch jemand evtl. eine Quelle dazu, wie ausgeprägt die Senkungen im Rahmen einer Tachykardie sein dürfen?

Danke im Voraus für jegliche Antworten

Ein „Hauptstamm“ EKG kommt zustande wenn beinahe das gesamte Myokard ischämisch ist.
Das kann sowohl bei einem großen Infarkt/3-VD KHK der Fall sein als auch bei einer Anämie oder wenn das Herz so schnell schlägt das der O2 Bedarf und das Angebot nicht matchen.

In diesem Fall würde ich, wenn ich dürfte, folgendermaßen vorgehen:
Frequenzkontrolle(wenn instabil Kardioversion, wenn stabil bei arrhythmischer Schmalkomplextachykardie vorsichtiger Volumenbolus und wenn nicht volumenresponsiv Betablocker).
Anschließend EKG Verlaufskontrolle sofort und 5-10 min später.
Wenn die ST Veränderungen persistieren und die Patientin symptomatisch passt Rücksprache mit dem momentanen Interventionsdienst und entsprechende Medikation.
Wenn die Veränderungen rückläufig sind war es frequenzassoziiert.

Falls das jemand anders sieht bin ich über Feedback dankbar!

Ich schließe mich dem an, Frequenz senken und dann schauen was die ST Strecke macht und danach entscheiden

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Danke euch für die Antworten.
Dass die Frequenzkontrolle da im Rahmen der weiteren EKG-Diagnostik (und selbstverständlich zur Stabilisierung) ganz prominent im Vordergrund steht, steht natürlich außer Frage.
Leider habe ich bis dato nicht herausfinden können, wie der weitere Verlauf war.

Nur nochmal zur Klarstellung, durch die hohe Frequenz liegt, sollte nicht sowieso ein „regulärer“ Infarkt dahinterstecken, dann einfach ein Typ-2-Infarkt vor, der sich unter Frequenzkontrolle wieder bedingt bessern sollte?

Korrekt

Ist bei der Pat ein VHF bekannt? Welche Medikation nimmt sie ein?

Anscheinend hast du mit QoH/PMCardio digitalisiert. Was sagt denn die App zu dem EKG? Für mich ist es auch ein offensichtlicher V.a. Hauptstamm EKG, also ACS Algo

Ein Hauptstamm EKG bedeutet nicht automatisch eine thromboembolische Ursache.

Wie hier bereits beschrieben kann es auch ein Typ 2 Infarkt sein, hier durch eine Tachykardie ausgelöst (vermute VHF mit tachykarder Ueberleitung).

Hier waere primär eine auf die Ursache ausgerichtete Therapie (Frequenzkontrolle) indiziert.

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Fassen wir es kurz zusammen: Die Patientin hat ein (neu aufgetretenes? oder paroxysmales?) tachykardes Vorhofflimmern mit Instabilitätskriterien (offenbar recht niedriger oder zumindest schlecht messbarer Blutdruck).

Noch bevor im Tachykardie-Algorithmus die Entscheidung stabil/instabil kommt, sollten wir prüfen, ob vielleicht reversible Ursachen vorliegen (zB Hypovolämie - du schreibst, es war ein recht heißer Tag). Wie schon die Vorredner sagen, ist ein Volumsbolus sicher vernünftig, wenn die HF damit sinkt und vl auch ein RR messbar wird, würde ich es damit präklinisch auch belassen.

Jetzt ist die Pat. zwar formal instabil (Blutdruck nicht messbar), aber auch beschwerdefrei (offenbar reicht der RR also aus, um die Birne zu perfundieren). Umgekehrt wissen wir nicht, wie lang das VHF schon läuft und ob die Patientin antikoaguliert ist. Würde, nachdem die Pat so „semistabil“ ist, deshalb (symptomfrei!) keine präklinische Kardioversion (Sedoanalgesie mit nicht messbarem Blutdruck starten macht keinen Spaß und kann richtig gefährlich werden) durchführen.

Ad Betablocker: Würde ich auch nicht machen, wir kennen die Linksventrikelfunktion der Patientin nicht, vl. ist die seit dem Infarkt eh schon übel und jetzt durch die Tachykardie nochmal schlechter. Wenn Flüssigkeit keine rasche Besserung bringt, würde ich hier eher zum Amiodaron als Kurzinfusion greifen.

Ad ST-Senkungen: die sind - unabhängig von der Ausprägung - in der Tachykardie NICHT verwertbar (bei 110HF vl schon noch, bei 180 sicher nicht mehr). Die ACS-Guidelines des ESC sagen ganz klar, dass ST-Streckendiagnostik in der Tachykardie NICHT erfolgen soll. Die Ausprägung der ST-Strecken sagt hier auch nix aus. Ja, die Herzenzyme der Patientin werden zu 99% erhöht sein (weil sie durch die Tachykardie sicher eine relative Unterversorgung des Herzmuskels hat). Ursache ist aber primär die Tachykardie. So „Pseudo-Hauptstammbilder“ wie hier sind der Klassiker in der Tachykardie (und auch unmittelbar nach ROSC); bedeuten aber NICHT, dass der/die Pat. auch ein Problem am Hauptstamm hat (das Bild entsteht durch eine relative Unterversorgung in allen drei Gefäßen gleichzeitig - quasi einem 3VD Bild).

Innerklinisches Vorgehen:

  • Volumen auffüllen, wenn weiterhin kein RR nicht invasiv messbar, Arterie stechen
  • Kalium auf hochnormal auffüllen
  • Echo machen (wie gut pumpt das Herz? Andere Ursachen für VHF wie PE wahrscheinlich?)
  • dauerhafte Antikoagulation eingenommen ja/nein?
  • wenn ja, Nüchternheit abwarten und kardiovertieren. Danach weitere EKGs in Ruhe
  • wenn nein: Thrombusausschluss und dann kardiovertieren

Wenn im Ruhe-EKG nach Kardioversion immer noch ausgeprägte ST-Veränderungen (und eine entsprechende Troponindynamik), kann man eine Koronardiagnostik machen. Wahrscheinlicher ist, dass die Senkungen von der Tachykardie kommen.

lg

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Danke für eure Inputs. Ich versuche der Reihe nach die Folgefragen zu beantworten.

Ist bei der Pat ein VHF bekannt? Welche Medikation nimmt sie ein?

Nein, VHF sei ihr zufolge nicht bekannt, Befunde lagen uns allerdings leider auch keine vor. Unser einziger Anhaltspunkt hinsichtlich Vorerkrankungen waren also ihre Schilderung des vorangegangenen MCI, sowie eine Überweisung durch die Hausärztin bei V.a. Morbus Fabry.
Bezüglich Medikation muss ich ehrlicherweise sagen, das genau Präparat nicht mehr im Kopf zu haben, es war allerdings ein NOAK dabei. Betablocker nimmt sie meines Wissens nicht ein.

Was sagt denn die App zu dem EKG?

Bezüglich der PMCardio/QoH-Thematik hier die Auswertung der KI:

Und zu guter Letzt noch kurz zum Thema Volumenbolus:
Diesen wollten wir ihr auch gerne zukommen lassen. Schlussendlich haben wir dann allerdings dann doch davon abgesehen, nicht aufgrund irgendwelcher befürchteten Komplikationen, sondern ganz einfach deshalb, weil wir nach zwei frustranen Versuchen den Transport in die Klinik nicht unnötig verzögern wollten.
Wie sie auf Volumen reagiert hat/hätte kann ich demnach leider auch nicht sagen. Ich hatte auch in den letzten Tagen noch nicht die Möglichkeit bezüglich des Outcomes/Verlaufs nachzufragen.

Danke nochmal für eure Anmerkungen und Einwände!