Der Umgang mit Kritik bei HiOrgs.

Ich möchte hier mal was loswerden.

Wie Ihr inzwischen wisst, fahr ich in OOE bei einer großen HiOrg.
Ich bin freiwillig, man kann mir also nicht wirklich viel anhaben, wenn es darum geht, dass ich eine Meinung habe und diese auch entsprechend artikuliere.

Was allerdings nun passiert, ist dass mir berufliche Kollegen, mit denen ich wirklich viel fahre erklären, dass sich die Stimmung der Offiziellen gegen Sie richtet, da Sie mit mir fahren. Diese Kollegen haben nun natürlich Angst um Ihren Job und bitten mich nun in Zukunft besser nur mit Zivis zu fahren, da hier dann die Gefahr für Sie selbst geringer ist.

Ich bin ein lauter Kritiker eines Systems, welches meiner Meinung nach kaputt ist. Ich versuche Vorschläge zu machen und schreibe Positionspapiere um die Patientenversorgung zu verbessern. Ich habe den Anspruch an mich, einen guten Job abzuliefern. Und genau diesen Anspruch habe ich auch an meine HiOrg.

Inzwischen weiss das ganze Forum, was hier in OOE abgeht.
Ich weiss leider nicht mehr ob ich nach diesen Vorgängen weiter für diese HiOrg arbeiten kann und bin schon etwas geschockt der Mittel, die man ergreift um einen konstruktiven Kritiker zu entfernen.

Kennt so etwas noch jemand?
Wenn ja, wie habt Ihr reagiert?

Persönlich kenne ich solche Situationen nicht, dazu bin ich noch zu kurz beim Verein, und in einem zu fortschrittlichen Bezirk. Aber aus Erzählungen durchaus.
In den Bundesländern Österreichs, in denen der RD am schlechtesten läuft (die sich eventuell ganz zufällig mit den Bundesländern mit Monopolstellung einer gewissen HiOrg überschneiden) hat das ganze für mich immer ein gewisses Mafia-Feeling. Klingt lächerlich, aber ist nun mal so, alte Traditionen, Machtspielchen und kein scham vor Druckmitteln. Wer es wagt ein Wort zu sagen, der bekommt den Zorn der Familie zu spüren oder so…
Das zieht sich natürlich durch alle Schichten, wenn die Mafia nicht in der Ortsstellenleitung sitzt, sitzt sie im Bezirksstellenbüro, und wenn sie dort nicht sitzt, sitzt sie halt im Landesverband.

Jedes mal wenn ich mich vor die Meute hinstelle und verkünde:
„Lesung aus dem Buche S3 Leitlinie Polytrauma und Schwerverletzten Versorgung:
Amen ich sage euch: Derjenige unter euch der als Erster beim Polytrauma ist, lege einen Beckengurt an“
Werde ich mit Fackeln und Heugabeln aus dem Dorf gejagt.

Ungefähr auf dieser Ebene (vielleicht mit etwas weniger Sarkasmus) ist auch meine Kritik.
Mir geht es prinzipiell um eine bessere Versorgung der Patienten. Ich predige das auch schon sehr lange.

Im Bezirk ist man der Meinung, man sei „eh“ gut aufgestellt, aber das stimmt nicht. NFS fahren Omas zum Zahnarzt und neue Zivis fahren zum Polytrauma. Es wird drunter und drüber disponiert, egal wie qualifiziert die Mannschaft ist. Man pfeift auf Richtlinien wie S3, oder ERC und macht Dinge so, wie man sie halt immer gemacht hat.

Und wenn wieder einmal etwas passiert und während 3 NFS im KTW Dienst sind, 2 Zivis zum schweren VU fahren, 12 Minuten bis zum eintreffen des NA nix machen weil Sie komplett überfordert sind und der Patient währenddessen über eine große tiefe Verletzung am Unterschenkel massiv blutet und in weiterer Folge noch im Fahrzeug verstirbt, und man dann dieses System kritisiert, bekommt man sofort zu verstehen, dass man nicht mehr erwünscht ist…

Und wenn man nach einer solchen Geschichte nicht freiwillig die Jacke zurückgibt, wird Druck auf die liebgewonnenen Kollegen ausgeübt, was dazu führt, dass sich Kollegen via Whatsapp melden und darum bitten auf einen Dienst zu verzichten, weil Sie „da nicht hineingezogen“ werden möchten.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das oben genannte Beispiel natürlich nie passiert ist und es sich um ein rein fiktives, absolut überzeichnetes Beispiel handelt. Die beiden Zivis würden bei einer solchen Geschichte mit Sicherheit nicht nachgeschult, nachdem Sie 2 Tage ausser Dienst wären weil der Einsatz so belastend gewesen sein würde. Weiters würde ein Eintrag im CIRS auch wegen „Systemkritik“ gelöscht werden und die Sache nicht weiter verfolgt werden. Aufgrund der Absurdität dieser Geschichte kann dieses Beispiel auch nur fiktiv sein. Dies möchte ich hier ausdrücklich betonen.

Dieses Statement trifft es leider sehr gut. So ungefähr ist das hier.

Ich musste lauthals lachen, bester Post 2022 und es ist gerade mal Mai.

In der Steiermark ist es mir konkret nur in gewissen Bezirken aufgefallen (Ohne Namen zu nennen) wobei hier meine Heimatdienststelle am meisten ins Auge fällt.

Wir haben hier ein gewisses Gefälle zwischen Stadt- und Landrettung da die Geographie hier sehr breit gefächert ist. Gerade auf der Bezirksstelle (Wo auch das KH mit dem NEF steht) merkt man eine gewisse „is ma wuascht“ Einstellung ggü. Systemkritischen Aussagen.

Mir isses explizit aufgefallen nachdem ich Zivi war (War zuvor schon Freiwilliger) da man hier diese klare Abgrenzung mancher Hauptis als auch Freiwilliger bemerkt hat. Das beginnt damit das sich besagter Haupti vom Dienstplaner austragen lässt wenn er mit einem eingeteilt ist oder das „Kalte-Schulter-Prinzip“ mit „Ich rede nur wenns absolut notwendig ist“ mit dir.

Vor allem im NEF-System gibt es einige altgediente NFS welche laut eigener Aussage „Dem Doc erzählen müssen was er zu tun hat“ und jedem, der auch nur einen Funken Ehrgeiz zeigt, sofort in die Schranken weisen…

Beispiel aus dem obigen Sachverhalt: Wir kommen als RTW zu einer CPR (NEF Parallel mit alarmiert , fährt nur ggü. der Dienststelle den Doc holen) und führen laut Guidelines die Maßnahmen durch. NEF-Team trifft ein und baut sein Material auf…Noch bevor ich dem Arzt die Übergabe machen will schreit der NFS über die ganze CPR drüber : „Mit dem Monitor brauchst ned reden , der gibt da eh keine Antwort“…

Mehr braucht man diesbezüglich nicht sagen oder?

In der Privatwirtschaft sind solche Vorgänge Entlassungsgründe. Sowas gehrt nicht. Sowas kann man nicht bringen. „Ich rede nur wenns absolut notwendig ist“ hat im RD einfach nichts verloren. So jemand gehört einfach nur weg.

Ganz ehrlich gesagt versteh’ ichs aber.
Wenn man in einem Job arbeitet bei dem den Chefitäten klar ist, dass sie jeden Querulanten sofort schassen können und es weder eine Standesvertretung oder Gewerkschaft noch einen Bewerbermangel gibt, würde ich auch den Ball flach halten und versuchen Ärger möglichst aus dem Weg zu gehen.
Wenn du dann noch in einer Gegend wohnst wo es für deinen Job nur einen Anbieter gibt, hast sowiso schlechte Karten.

So wenig es den meisten schmecken wird, aber einen Wandel einzuleiten liegt wohl am Ehrenamt. Auch wenn es dadurch über kurz oder lang verschwinden müssen wird.
Das Ehrenamt im Rettungsdienst muss sich quasi selbst abschaffen. Im Sinne des großen Ganzen. Das „Big Picture“ zu sehen ist allerdings leider nicht die Stärke von uns Menschen.
Ameise müsste man sein, die habens raus.

Rein hypotetisch, wie denkst du sollte dass denn passieren ? Was hindert den Verein daran, einfach immer neue Leute anzuheuern, wenn alte „hinschmeißen“ ?

So schiach es auch klingen mag ;

Solange es noch Gutherzige Deppen wie uns gibt , die noch immer an das gute in dem Verein glauben und hoffen mit ihrem Taten was ändern zu können , wird die Freiwilligkeit im Rettungsdienst bestehen bleiben.

Aber inzwischen hab ich des ganze auch aufgegeben , ich war genau so und hab geglaubt das man mit entsprechenden Ehrgeiz was ändern kann…Wurde aber leider eines anderen belehrt

Ganz einfach. Wenn die NKV oder NKI (oder vll. noch was drüber irgendwann?) die Mindestanforderung für den Beifahrer am RTW wird. Die Leute kannst du nicht einfach „gehen lassen“.
Das kann man über Wege erreichen, die die Vereine nicht (direkt) kontrollieren können. Dass diese Wege aber auch beschritten werden (Politik) muss von irgendwem ausgehen.

Auf anderem Weg wirds unmöglich sein.

Das behebt allerdings mal nur einen Teil des Problemes. Wie mit den Leuten in neuen Struturen umgegangen wird ist dann die nächste Frage.
Was man von div. Sanis so hört, ist es leider auch bei der MA70 kein Ponyhof.

Gegen Freiwilligkeit im Rettungsdienst habe ich grundsätzlich nix einzuwenden. Solange der „Platz“ stimmt (Fahrer, 2. Sani) und / oder auch die Qualifikation, why not.
An das Gute in „dem Verein“ glaube ich schon lange nicht mehr. Ist wie bei der Kirche. :smiling_imp:
Die Hoffnung, dass das System sich ändern kann, hab ich noch nicht aufgegeben. Das SanG gibts ja auch nicht seit Ewigkeiten. Da hat sich ja auch was geändert. Warum also nicht wieder?
Es braucht halt eine einflussreiche Person / Initiative / Organisation die einen österreichweiten Diskurs anführt.

Bin ich ganz bei dir , die Frage ist nur was muss den passieren das sich eine „Einflussreiche Person“ dafür einsetzt?

Muss erst der Bundespräsident selbst 2H auf einen KTW warten damit er merkt das irgendwas ned passt? Oder muss die Schwiegertochter vom ÄK-Präsident im Notfall unterversorgt durch einen Zivibomber werden damit die Ausbildung reformiert wird?

Versteh mich ned falsch , an einen völligen Stillstand glaub ich auch ned…Aber wenn gerade solche Sachen erst passieren müssen damit mal aufgezeigt wird was seit Jahren schon falsch läuft , dann krieg ich dezent Schädlweh :unamused:

Schlussendlich vermutlich schon, ja. Sonst wirds immer alles kleingeredet wie gut doch unser System ist.

Ich bin absolut kein Freund des Systems in OÖ, kritisier(t)e viel und versuch(t)e viel zu verändern. Mittlerweile habe ich resigniert. Auch weil es mir an Fakten mangelt.

Gibt es wissenschaftliche Evidenz, dass und wie sich das Outcome verbessert wenn man ein hauptberufliches System mit präklinischen Notfallprofis mit einem reinen EH-Loadandgosystem a la OÖ vergleicht?
Wie viele Patienten profitieren in welchem Ausmaß erwartungsgemäß von der Veränderung des Systems?
Welche Verbesserungen sind für das Gesundheitssystem, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und daraus resultierend für die Volkswirtschaft zu erwarten?
Wie verhält es sich mit der arbeitsbezigenen Zufriedenheit bei nichtärztlichem Personal und Notärzten im Vergleich zwischen den Systemen?

Nicht falsch verstehen, ich wäre an forderster Front, wenn es darum geht eine Veränderung mitzutragen und zu befürworten aber das basiert mehr auf Gefühl und Glauben als auf Fakten und belegbaren/messbaren Parametern.

Das wäre halt mal ein erster Schritt, um eine Veränderung des Systems überhaupt argumentativ anstoßen zu können.

Wir bräuchten sowas wie eine Österreichische Björn Steiger Stiftung.
Die haben damals in Deutschland so einiges bewegt

Es gibt doch Studien dazu, dass anständiges präklinisches Management hinten raus Geld spart. Hab jetz nix parat, aber ich glaube es schon öfter hier im Forum gelesen zu haben.

Na was mach ich denn mit dem Infarktpatienten wenns einfach keinen Arzt gibt der ihn mir für den Transport in Herzkatheter therapiert?
Ich glaub’ es braucht da keine großartigen Studien dazu, dass der Patient Schaden davon trägt, wenn er ohne Therapie erst mal ins irgendein KH kommt, weil keiner vor Ort ein EKG lesen kann.

Aber es geht ja auch nicht ausschließlich um die Patienten.
„Am aktuellen Stand der Wissenschaft“ wie es im SanG steht kann ich halt auch ´nur Arbeiten wenn ich grundlegendes Verständnis dafür habe.
Es geht auch um arbeitsrechtliche Absicherung für das Personal. Sicherheit im Alter oder bei berufsbedingten Krankheiten / Verletzungen.
Es geht um die Antizipation des demografischen Wandels und des sich immer weiter verschärfenden Ärztemangels.

Das war meine Frage. Ich bin vollumfänglich dabei, wenn es um die Professionalisierung der präklinischen Versorgung geht. Ich bin mir nur nicht sicher wie tragfähig das argumentative Eis ist.

Doch, die braucht es. Der nächste kommt und behauptet, die längere präklinische Versorgungsdauer durch Diagnostik und Therapie schadet dem Patienten mehr als ein schnellstmöglicher, unversorgter Transport zum Herzkatheter evtl. auch via Basis-KH. Beide Aussagen können nicht wissenschaftlich belegt werden. Deshalb braucht es Daten.

Das sind zwei Paar Schuhe. Das eine sind medizinische Fakten. Es geht um das Patientenwohl, letztendlich um möglichst uneingeschränkte Gesundheit, Leistungs- und Arbeitsfähigkeit zum Erhalt der Volkswirtschaft.
Das andere sind arbeitsrechtliche und -soziologische sowie -politische Themen.
Das ist nur teilweise vermischbar.

Diese Studien gibts doch sicher.

Ja. Sind unterschiedliche Themen. Die gehören aber ALLE berücksichtigt. Ist ja bei anderen Berufen auch so, warum solls also bei uns nicht gehen?
Das Rad muss hier nicht neu erfunden werden. Es gibt alles schon.

Ja ich kenne auch sowas, gibt es nicht nur in OÖ.
Wenn man schon beim Mobbing angekommen ist würde ich dir empfehlen den Bezirk/HiOrg zu wechseln wenn es möglich ist oder
aber dein Engagement einzustellen. Auf lange Sicht wirst du nichts ändern können und wenn der Druck weg ist, wird es dir
persönlich besser gehen. Überspitzt würde ich sagen „Es ist meine Freizeit, das RK will es nicht, also mache ich was
anderes damit.“

Und wo findet man das? Das die Politik reagiert braucht es eine Studie die zeigt, wieviel mehr volkswirtschaftlicher Schaden durch das „Freiwillige System“ gegenüber
einem „professionellen beruflichen System“ entsteht. Dann kann man diesen Schaden den Mehrkosten eines neuen Systems gegenüberstellen. Sind die Kosten geringer wird sich
was tun, kostet das neue System mehr wird nix passieren. Es wird kein Politiker (gerade in der jetzigen Zeit) das freiwillige System zerstören um ein teureres System zu installieren.