Was darf der NFS(NKx), was darf er nicht?

Mahlzeit!

Kann mir bitte einmal jemand erklären was ein Notfallsanitäter-NKx draußen am Patienten alles darf und welche Maßnahmen er setzen darf/muss? Ich trage schon lange einige „Konfliktbeispiele“ bei mir im Kopf rum, die mir ständiges Kopfzerbrechen bereiten.
Aber eines ist Klar! → unsere rechtlichen Rahmenbedingungen regeln unseren Handlungsspielraum nur sehr „elastisch“.

Wie wir wissen ist die Definition mit einem:
-…„die Unterstützung des Arztes bei allen notfall- und katastrophenmedizinischen Maßnahmen einschließlich der Betreuung und des sanitätsdienstlichen Transports von Notfallpatienten“…

  • und neben einigen anderen Zeilen mit einem …„am aktuellen stand der wissenschaft“… blabla
    abgetan.

Die Frage des Threads mag sich für manche garnicht erst stellen, aber vielleicht kann ich das ändern wenn ihr versteht was ich meine…

Kann des Handlungsspielraum des NFSNKx so definiert werden:
-Alles was nicht invasiv ist und man gelernt hat darf man auch anwenden?
-Alles was invasiv ist und vom Organisationschefarzt freigegeben ist

ABER

-Wo wird die genaue Grenze zwischen invasiver und nicht invasiver Maßnahme gezogen?
-Ist beispielsweise ein modifiziertes Vasalvamanöver,Woundpacking, QuickClot, … invasiv/nicht invasiv?
-Kann ein NFSNKI weitere Maßnahmen erlernen und deren Anwendung im Bedarfsfall rechtfertigen?
-Was machen Sanitäter mit Fähigkeiten die sie in irgendwelchen lustigen Buchstabenkursen erlernt haben, aber eig nicht anwenden dürfen?
-Was ist die Grundvoraussetzung um eine Maßnahme durchzuführen? Ab wann gilt eine Maßnahme als erlernt?
-Ist z.B. die Anwendung von Adrenalin an einer oberflächlichen Wunde invasiv? Ist Woundpacking mit QuickClot invasiv? Ist der Beckengurt nicht auch invasiv? Wenn ja → Warum darf der NFS das?
-Wie kann ein Notfallsanitäter immer am aktuellen Stand der Wissenschaft handeln? Defakto ist das nicht möglich.

Ich freue mich auf eine Diskussion die diese schon endlos breitgetretenen Fragen auffächert.

LG und Danke!

Nun, das ist in einem Satz leicht erklärt:
Kommt drauf an wo der NFS ist und welche Uniform er trägt.
Klingt dämlich, ist aber leider so.
Ich darf beispielsweise in Wien eigenständig EKG’s schreiben, interpretieren und darauf basierend Entscheidungen treffen (z.b. NEF-Storno, ASS gabe, Valsalva Manöver, etc.). Wenn ich nun in OÖ Dienst mache darf ich nichts davon (hab ja auch nix mit).

Bzgl. Invasiver Maßnahmen wirds teilweise richtig absurd: Wir lernen in Wien beim RK Woundpacking, haben aber kein Qickclot o.ä. mit. Ob wirs wirklich dürften oder nicht kann keiner so wirklich beantworten. Auch der Beckengurt wird bei uns ausgebildet, befindet sich aber nur auf jenen RTW die auch als NAW genutzt werden. Den dürften wir eigenständig anlegen, aber erst schließen wenn ein Arzt anwesend ist.

Das ist eine sehr gute Frage die mich auch schon länger beschäftigt. Konnte leider noch keine brauchbare Antwort finden.

Als Input zu dem Thema hier der Kompetenzkatalog der Ma70.

Danke,
das ist doch schonmal eine Richtung.
Ebenso interessant finde ich die rechtlichen Hintergründe. Wie kann die MA70 dem RS das Anlegen eines Beckengurts erlauben, wenn beim RK das zuziehen per DA verboten wurde?
Habe die einzelnen Organisationen wirklich so einen großen Freiraum was die Kompetenzen ihrer Sanis betrifft?

Um das Beispiel Beckengurt aufzugreifen.
Ein Beckengurt ist eindeutigst nicht invasiv.
Wenn man ihn anlegt und der Patient hatte dann keine Beckenfraktur/Blutung ist dadurch weder Schaden noch übermäßiger Schmerz entstanden.
Wenn er aber indiziert war, dann kann dieses Tool potentiell lebensrettend sein.

Es ergibt einfach keinen Sinn was das RK OÖ da fabriziert. Wie so vieles was dort im RD gemacht wird.

1 „Gefällt mir“

Kann in meinem Fall nur für den ASB Wien sprechen: Bei uns ist der Beckengurt, sofern indiziert, im Zuge der Erstversorgung am BO sowohl vom RS - sofern im Zuge des TC eingeschult - bzw. dem NFS NKX
Anzuwenden. Eine Dienstanweisung dieses zu unterlassen oder ähnliches existiert beispielsweise bei uns nicht. Müsste sogar eine diesbezügliche schriftliche Lehraussage geben, die das ganze regelt.

Tja. Die einen setzen auf Quantität die andren auf Qualität. Der Beckengurt ist ein Produkt, welches bei nicht korrekter Verwendung genau das Gegenteil von dem bewirkt was man eigentlich erreichen will.

Wenn der Gurt zu weit oben angelegt wird und somit auf die Beckenschaufeln drückt, wird das kleine Becken gespreizt anstatt komprimiert und würde so eine Blutung verstärken oder sogar erst auslösen.

Da wird man sich vermutlich präventiv vor Konsequenzen schützen wollen, weil man um die Qualität der eigenen Ausbildung bescheid weiß ???

Bist du neu beim RK?? ???

Jede Organisation im Rettungsdienst braucht einen verantwortlichen Arzt (aka Ärztlicher Leiter), der bestimmt was die Leute dürfen und was nicht. Wenn der MA70 Arzt der Meinung ist, die Ausbildung dafür ist vorhanden und die Leute sind geschult, kann er es ihnen erlauben. Wenn der RK Arzt dass seinen Leuten nicht zurtraut, gibt er es nicht frei.

@ThomasdL:
Wo hast denn den Kompetenzkatalog der 70er her?
So Sachen wie Reposition durch RS find ich schon ein starkes Stück.

Das hab’ ich auch schon mal mit jemandem besprochen.
Wenn ich mich richtig erinnere gings da nur um wiederkehrende Dislokationen ohne traumatisches Vorgeschehen.
Also klassisch die immer mal wieder ausgekugelte Schulter.

Hab ich draußen erst ein einziges Mal gemacht. Und auch nur weils der Pat. unbedingt wollte um nicht extra ins KH zu müssen.

Schultern sollen explizit nicht reponiert werden.

Nur Röhrenknochen, Sprunggelenk, Patella. Dazu gibt es eine freilich eine eigene SOP.
Ob die Luxation das erste oder das 10. Mal aufgetreten ist, spielt keine Rolle.

Wo ich den Kompetenzkatalog her habe: Aus dem Intranet. Ich arbeite wie man meinem Profil entnehmen kann bei der MA70.

Gibts da auch eine Begründung? Ist von der Technik her ja nicht so arg.

Wie Röhrenknochen? Nach Frakturen? Ist das nicht eher „Schienen“ und wird eh von allen RS gemacht? Mit Vakuumbeinschiene, Samsplint etc…
Patella, ok.
Spunggelenk?? Ok. Definitiv zeitkritisch, ja. Aber RS? ohne Analgesie???

Für die Anwendung der SOP vll. nicht, aber ob es mir überhaupt möglich ist zu reponieren.
Die Unfaller haben mir das damals so erklärt, dass eine Schulter die ersten Male kaum ohne Relaxierung bzw. Analgesie zu reponieren sei.

https://nerdfallmedizin.blog/2020/01/11/extremitatentraum-pt-2/

Bei allen Anderen Luxationen sollte vor der Reposition standardmäßig wenn irgendwie möglich eine bildgebende Diagnostik durchgeführt werden. Durch die Reposition kann auch Schaden entstehen.
Bei akuter Perfusionsstörung distal der Verletzung (Zb Schulter-Arm) kann der NA reponieren.

Betreffend Sprunggelenk: Muss, da viel hartes Gewebe, dadurch schnell Perfusionsstörung und Nekrosen.
Betreffend Patella: Extrem einfach zu reponieren, danach fast keine Schmerzen mehr.
Lange Röhrenknochen: Blutungsminimierung, Schmerzminimierung nach Reposition. Denkbar einfache Durchführung.

Betreffend Analgesie: Erstens ist es ja ab NFS freigegeben. Funktioniert erfahrungsgemäß sogar nur mit Penthrop gut.
Erfahrungswert: Als wir noch nicht reponieren durften haben die Unfallchirurgen Sprunggelenke immer ohne Analgesie reponiert.
Eine Sekunde starke Schmerzen und danach deutliche Besserung sind besser als 20 Minuten moderate bis starke Schmerzen und eine Nekrose.

Edit:

Natürlich nach Frakturen.
Wenn sie eine relevante Achsenabweichung zeigen und ich die Extremität unter Zug wieder in die richtige Richtung gebracht habe dann habe ich sie reponiert.

Auch schon zu oft gesehen leider. Auch ein Ortho Bro sollte einem Pat. eine angemessen Sedoanalgesie vor Reposition zukommen lassen. Niemand braucht diese starken Schmerzen ertragen, wenn es auch Wege gibt diese zu minimieren…
Den Rest deiner Ausführung kann ich nur unterstreichen.

Ok. Dann sind wir da in etwa gleicher Meinung. Das „reponieren“ bei Frakturen machen somit (hoffentlich) eh alle Sanis im Land. Vor allem weils ein sehr gutes Mittel ist um Schmerzen zu nehmen.

Reponieren von Luxationen muss heutzutage ohne Analgesie echt nicht sein. Auch wenn Geschwindigkeit geboten ist, sollte ein bissi Ket+Dormicum schon drinnen sein. Ist halt die Frage was ich am Land mach, wenn die nächste Schmerztherapie 20 minuten weit weg ist.

@Bildgebung
Ja. Bei traumatischem Geschehen immer. Bei atraumatischen, wiederkehrenden Luxationen wirds meines Wissens nicht immer gemacht.
Röntgen etc. ist ja auch nicht so das gesündeste.

In oö grp, wird die schnitzlerschiene (zug und Fixierung) eingesetzt.

zum NFS/NKx „DARF“ hier: in Hinweise zur Anwendung der Algorithmen

Das Wohl der Patientin/des Patienten steht immer an oberster Stelle!
Sollten außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass das genaue Arbeiten nach dem Algorithmus nicht möglich ist, muss von der verantwortlichen Notfallsanitäterin/vom verantwortlichen Notfallsanitäter nach bestem Wissen und Gewissen entschieden werden, um das Beste für den Patienten/die Patientin zu erreichen. In so einem Fall ist besonders auf umfassende und genaue Dokumentation zu achten!

→ hier ist also der Bereich addressiert der über die „Lehrmeinung für NFS“ (soferne es die gibt) hinaus geht. Konkret: im Rahmen des SanG und unter Nutzung der Werkzeuge und Medikamente die da sind, nicht mehr exakt nach dem verschriftlichten Algorithmus aber eben Handeln nach eigenem Wissen und Verantwortung.

Ein Beispiel: bekannte Aortendissectio, Drucksenkung mit Urapidil stärker als im Algorithmus (hier: durch Telenotarzt aufgefordert).

.
.
.

zum NFS/NKx „MUSS“: hier hat man immer eine Abwägung zu treffen, reichen „gelindere Massnahmen“ aus, oder trifft die Indikationsstellung für „ultima ratio Massnahmen“ wirklich zu? Siehe SanG § 11 (1):

im Rahmen von Maßnahmen zur unmittelbaren Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit eines Notfallpatienten, soweit das gleiche Ziel durch weniger eingreifende Maßnahmen nicht erreicht werden kann.

Also insgesamt: so viel wie nötig, so wenig wie möglich

Das ist etwas das man leider schlecht in Algorithmen packen kann.
Hier braucht es viele Falldiskussionen, gute Vorbilder, Reflektion im Team oder mit den Multiplikatoren auf der Dienststelle.

wünsch euch ein gutes 2024!

Die Formulierung gefällt mir ganz gut und beschreibt auch wie ich es schon seit jeher halte im Dienst. Im privaten Umfeld trau ich mich schon etwas mehr als ich bei Fremden im Dienst.

Ich habe mal was gelesen oder gehört, dass die Algorhythmen an sich ja gar nicht Bestandteil des Gesetzes zu den AMLs sind, sondern nur die Medikamente selbst. Das würde bedeuten, dass die Medikamente für alle laut Hersteller freigegeben Anwendungsbereiche angewandt werden dürften. Klar sind organisationsinterne Vorgaben verbindlich aber gesetzliche Vorgaben können sie nicht überschreiben.

Kann das jemand bestätigen oder berichtigen?

Ich habe mal was gelesen oder gehört, dass die Algorhythmen an sich ja gar nicht Bestandteil des Gesetzes zu den AMLs sind, sondern nur die Medikamente selbst

Das ist korrekt - das Gesetz spricht nicht von Algorithmen die freigeben werden, sondern von der „Verabreichung spezieller Arzneimittel“, die vom Chefarzt auf die Arzneimittellisten „schriftlich zur Anwendung freigegeben wurden“.

Das geschieht aber nicht ohne Kontext. Das SanG bzw. die SanAV sprechen auch vom Ausbildungs-Modul Arzneimittellehre,das absolviert werden muss bevor die NK erteilt wird. Sprich: etwaige Präzisierungen zur Anwendung der Arzneimittel durch die Hilfsorg im Rahmen der Ausbildung sind zu berücksichtigen! Nachrangig zum Gesetz, aber doch.

Um eben Raum zu schaffen für die erweiterte Eigenverantwortung der NFS, zB. mit Kenntnis aus anderen Ausbildungen und Berufen, hat der Chefarzt vom RK NÖ eben den oben zitierten Absatz über „nach bestem Wissen und Gewissen“ hinzugefügt.
Das erlaubt es begründet vom Algorithmus abzuweichen im Einzelfall. Wie zB. bei einer telefonischen Anweisung durch einen Telenotarzt der Hilfsorg → rechtlich gedecktes Handeln innerhalb der AML aber ausserhalb des Algorithmus.

Jeder Sanitäter darf das was im SanG geschrieben steht, darüber hinaus ist die jeweilige Organisation und da im wesentlichen der Chefarzt dafür zuständig die Arzneimittel und Algorythmen freizugeben oder eben nicht.

Solange man sich daran hält was der Chefarzt freigibt, wird man im Fall der Fälle auch rechtlichen Beistand von der Organisation haben sofern das nötig ist, alles andere ist dann Eigenverantwortung.
(Was medizinisch und auch rechtlich dennoch ok sein könnte.)