Kritik aus dem MurtalFliegt der Notarzt-Hubschrauber unverhältnismäßig oft?
Langjähriger Notfallsanitäter aus dem Murtal übt Kritik am System: Viel zu oft werde seit Mai der ÖAMTC-Hubschrauber statt eines am Boden stationierten Notarztes alarmiert.
Von Sarah Ruckhofer | 05.30 Uhr, 05. September 2020
Eines ist fix: Den gelben Notarzt-Hubschrauber des ÖAMTC sieht man in der Obersteiermark seit Bau des Stützpunktes in St. Michael öfter als zuvor. Öfter – aber zu oft? Diese Kritik äußert der langjährige Notfallsanitäter Christian Pausch. 32 Jahre lang versah der hauptberufliche Polizist ehrenamtlich Dienst am sogenannten NEF-Stützpunkt in Zeltweg. Dort ist das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) für die Region Judenburg und Knittelfeld stationiert, von dort rückt der Notarzt üblicherweise aus. „Über die Jahre sind wir im Murtal fast ohne Hubschrauber ausgekommen, seit Mai wird permanent geflogen“, sagt Pausch. Er beendete seine freiwillige Rot Kreuz-Karriere im April. „Viele Kollegen trauen sich damit nicht an die Öffentlichkeit. Aber besonders im Murtal, im Mürztal und auch im Raum Leoben ist der Frust groß.“
Kosten sind beträchtlich"
Immer öfter würde das NEF in der Garage bleiben. „Früher haben wir den Hubschrauber dann angefordert, wenn es medizinisch indiziert war oder der Patient mit dem Auto nur schwer erreichbar war“, erklärt Pausch. „Die Landesleitstelle hingegen entscheidet nur nach Zeit. Wenn der Hubschrauber in der Theorie eine Minute schneller ist, wird er ausgeschickt. Und wir sitzen ohne Arbeit da.“ Pausch geht es in seiner Kritik nicht um den Rettungshubschrauber an sich. „Aber es wird zu viel geflogen. Ich traue mich sagen, 50 bis 70 Prozent aller Flüge sind umsonst. Die unnötigen Kosten sind beträchtlich.“
Mit seiner Kritik an „Christophorus 17“ steht der Polizist aus dem Murtal nicht alleine da, allerdings will kein anderer Sanitäter oder Arzt namentlich genannt werden. „Der Hubschrauber boomt momentan“, bekräftigt etwa ein Notarzt. „Viele Menschen glauben, nur mit dem Hubschrauber gut versorgt zu sein. Das ist aus den Köpfen schwer heraus zu bringen.“ Auch der Notarzt sieht einen unverhältnismäßigen Anstieg an Hubschrauber-Einsätzen: „Seit Mai wird der Hubschrauber forciert, das fällt auf.“
Dabei sei die Zeitersparnis meist nur auf dem Papier gegeben: „Rechnet man die Vorlaufzeit mit, die der Hubschrauber bis zum Start braucht, wären wir mit dem NEF oft gleich schnell dort.“ Der Murtaler Arzt sieht die Flüge auch als Politikum: „Der Hubschrauberstandort in St. Michael wurde vielfach gefordert, jetzt muss er sich natürlich rentieren. Ich denke, das wird abflachen.“
Einsätze zurückgegangen
Fakt ist, dass sich die Zahl der NEF-Einsätze im Murtal um rund ein Drittel verringert hat. Gab es von Juni bis Ende August 2019 noch 240 abgerechnete Fahrten, waren es im gleichen Zeitraum 2020 nur mehr 173. Inwieweit die Reduktion wirklich dem neuen Hubschrauber zuzurechnen sind, ist Corona-bedingt freilich schwer zu sagen. „Christopherus 17“ ist seit Eröffnung des Stützpunktes am 20. Mai laut ÖAMTC jedenfalls 17 Mal in den Bezirk Murtal geflogen, ein Vergleich mit dem Vorjahr hinkt nicht nur aufgrund der Pandemie, sondern auch aufgrund des neuen Stützpunktes.
„Am schnellsten bei Patienten“
Welches Einsatzmittel bei einem Notruf ausrückt, wird nach definierten Kriterien vergeben, betont man beim Roten Kreuz. „Entschieden wird immer zum Wohl des Patienten“, so Pressesprecher August Bäck. „Jeder, der selbst betroffen ist, wünscht sich die schnellst mögliche Hilfe. Und natürlich wird jetzt, wo das Angebot in der Region da ist, auch mehr geflogen.“ Gewählt wird immer jenes Einsatzmittel, das am schnellsten beim Patienten ist – am Land häufig der Hubschrauber. Dass das Auswirkungen auf das bodengebundene System habe, sei klar.