Erfahrungen bei der Berufrettung Wien

Hallo Allerseits,

Ich bin derzeit bei der Berufsrettung in Wien als Hilfssanitäter in Ausbildung. Aufgrund von sehr vielen Anekdoten von ehemaligen Zivildienern und selbsternannten „Experten“ habe ich mich nun entschlossen mich hier im Forum anzumelden und mich selbst zu erkundigen.

Viele Geschichten die ich gehört habe drehen sich darum, dass man im Fahrtendienst zu 90% mit Obdachlosen zu tun haben soll, die man in Ihrem Suff mit der Rettung rumkutschiert. Viele Leute berichten, dass sie bespuckt wurden oder anderweitig in den Kontakt mit diversen Körperflüssigkeiten der Patienten gekommen sind.
Natürlich halte ich es nicht für schlimm und bin mir durchaus bewusst dass die Berufung als Rettungssanitäter mit solchen Dingen einhergeht, allerdings habe ich das Gefühl, dass laut Erzählungen fast alle Rettungseinsätze die man fährt genau so aussehen. Deswegen frage ich nun hier in der Community, wie sind eure Erfahrungen? Stimmen diese Gechichten, sind wirklich ein großteil der Einsätze genau so?
Gruß
D0ngoo

Die tatsächliche Fehlrate (nicht nur Gasthäuser zusammenräumen, U-Bahnstationen leeren, sondern auch Husten, Schnupfen, Ganzkörperunwohlsein) würde ich in Wien auf 60-70 % schätzen… es gibt dann schon immer wieder NK-Anwendungen, NEF-Nachforderungen und wirklich bedürftige… das war schon mal besser, aber auch schon DEUTLICH schlechter… in den letzten 20 Jahren… lg,

Hallo,

Ich kann dir nur mehr persönliche Erfahrungen wiedergeben. Also ich fahre meistens RTW im Westen von Wien für die MA70.
Du wirst in deiner Zeit bei der MA70 sicher mit vielen Alkoholisierten Patienten in Kontakt kommen, aber das hängt aus meiner Sicht relativ stark von ein paar Faktoren ab:

  • Dienstzeitpunkt: Fr oder Sa Nacht zieht z.B. viele Partygänger an
  • Station: Wenn in der Nähe der Station viele Hotspots für Betrunkene sind (Westbahnhof, Bermudadreieck etc.) dann hast du natürlich auch mehr Alkohlisierte.

Über den Schnitt eines 12-Stunden-Diensts würde ich aus meiner subjektiven Wahrnehmung sagen, dass ca. bei 5-10% der Patienten ein schwerwiegender Grund vorliegt (Herzinfakt, Insult, Trauma, etc.). Je nach Station und Zeitpunkt so 10-30% Alkoholisierte oder Obdachlose. Der Rest sind „nicht so dramatische“ Einsätze in normalem Umfeld (Husten/Schnupfen/Fieber/Grippe, kleinere Verletzungen).

Gewalt kommt leider auch immer wieder vor, aber wenn man auf den Selbstschutz achtet, dann hält das in Grenzen.

Ich hoffe, dass ich dir einige Fragen beantworten konnte und wünsche dir viel Spaß bei deinem Zivi bei der MA70 (haben mehrere Bekannte von mir auch gemacht und die meisten waren eigentlich sehr zufrieden).

Lieber Kollege!

Lass dich bitte nicht von Geschichten, Gerüchten, Übertreibung, demotivierter Kollegen etc. runterziehen.

Ja wir haben häufig Einsätze mit „Patienten“ aus sozialen Randgruppen, ja oft ist Alkohol ein Thema, aber das über 50% aller Einsätze genau das wären, ist maßlos übertrieben. Ja es gibt auch Übergriffe auf uns, so wohl durch Patienten (sowohl „normal“, unter Alkohol/Drogeneinfluss, oder psychiatrisch), Angehörige oder auch Passanten. Diese Übergriffe können von verbaler Aggression bis hin zu ernsthaften Verletzungen gehen, dass dies den einzelnen Sanitäter aber tagtäglich passieren würde, ist aber auch maßlos übertrieben, ja es kommt vor, der Fall ist einer zu viel - ich würde sagen im Schnitt ist man vielleicht einmal im Monat in einer solchen Situation - wer öfter in solche Situationen kommt, sollte eventuell das angebotene Seminar „Aggressionsmanagement und Deeskaltion“ besuchen - was meiner Meinung nach eine Pflichtveranstaltung für jeden unserer Mitarbeiter sein sollte.
Ja die meisten Einsätze führen uns zu unkritischen, stabilen Patienten, häufig mit Bagatellbeschwerden/Verletzungen die wir häufig zur Kontrolle hospitalisieren oder eben auch belassen. Ernsthaft erkrankte/verletzte oder gar hochkritische Patienten sind eher die Ausnahme. Der Standardeinsatz ist, man arbeitet sein Schema mit Untersuchung/Vitalwerte/Anamnese ab und erkennt, dass eigentlich momentan nichts akut lebensbedrohliches erkennbar ist, zur weiteren Untersuchung und Behandlung landet der Patient auf der dafür zuständigen Ambulanz und das war es. Sich über die Sinnhaftigkeit vieler Notrufe und damit verbundenen Rettungseinsätze Gedanken zu machen, ist zwecklos - außer man will sich aufregen und ärgern.

Natürlich kommt alles auch etwas auf die Einsatzgebiete an, gerade Mariahilf ist da beispielsweise prädestiniert für Alkohol/Drogen/Obdachlosigkeit/soziale&kulturelle Problemgruppen und all den damit verbundenen Problemen.

Ganz ehrlich, ich möchte gar nicht das jeder zweite Einsatz ein Polytrauma/Reanimation/Kindernotfall/etc. ist. Das ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern macht auch in der Birne kaputt - das sind viel zu viele in diesem Job sowieso - meiner Meinung nach oft schon wenn sie mit dem Job anfangen. Ab und zu ein fordernder Einsatz passt schon, aber nur muss nicht sein. Wir werden im übrigen nicht nach NACA Score/Anzahl der Notkompetenzanwendungen/Schockräume/Intensivpatienten/etc. bezahlt sondern nach Anwesenheitsstunden. Ob ich die nun mit gemütlichem Erheben und Dokumentieren von ABCDE/SAMPLE/evtl. OPQRST und der entsprechenden Vitalwerte - was dann alles unauffällig und nicht akut kritisch einzustufen ist - und den Patienten dann in mein Auto begleite, ihn gemütlich auf eine Ambulanz bringe oder gar daheim lasse - oder ob ich von Action zu Action rase, die Patienten aus unwegsamen Gelände oder aus dem xten Stock ohne Lift mühsam zum Auto trage, hoffen muss, dass ich den Patienten irgendwie noch lebend ins Krankenhaus bringe, danach mühsam mein Material wieder putze, nachfülle und einsatzbereit mache - mein Geld bleibt das gleiche.

Eigentlich der ganze Beitrag… danke dafür! Eine Sichtweise die leider viel zu wenige in „unserem“ Bereich haben…