Polytraumaversorgung - How not to do CRM

Ich hab auf YouTube gerade eine Doku gefunden in der Anfangs eine Polytraumaversorgung gezeigt wird. Viel hektischer hätte man das ganze glaub ich nicht lösen können.

Folgendes ist mir aufgefallen:

-Stifneck vor der Sicherung des Atemweges, danach hält keiner mehr den Kopf
-Der NA versucht den Patienten dann mit Stifneck zu bebeuteln, das macht für mich jetzt wenig Sinn, ich mach mir ja die Arbeit nicht schwieriger als sie sein müsste
-Schwierige Intubation da Stifneck + Patient liegt noch im Straßengraben: Kein Videolaryngoskop
-Umlagern ohne Schaufeltrage auf Vakuummatratze
-kein Beckengurt
-richtig schlecht Kommunikation, es wird mehr durcheinander geredet; wirkt wahnsinnig Kaotisch
-keine Kaponometrie
-Monitoring erst im RTW nach der NARKOSE oder was auch immer das war
-Intubation ohne Prämedikation bei anscheinend kreislaufstabilem Patienten
-Zugang erst nach der Intubation?

Vielleicht fallen noch ein paar Leuten ein paar Sachen auf. Aber ich glaube großteils ist das hier an der Hektik und der schlechten Kommunikation gescheitert.

Russisch, sehr russisch.
Aber leider schon öfters so gesehen.
Wenn der NA in den 80ern seine Ausbildung gemacht hat und die Entwicklungen der letzten 40 Jahre verschlafen hat dann läuft das so ab…

Also das muss man schon relativieren:

Offensichtlich liegt ein A- und B-Problem mit insuffizienter Spontanatmung vor (sonst würde er nicht versuchen zu bebeuteln). Wenn also der Atemweg meine absolute Priorität ist kann ich es schon verstehen warum primär intubiert wird, bei einem schweren SHT ist das oft tatsächlich ohne Narkose möglich (nicht fein und sicher nicht gut für den Hirndruck, aber da gilt es Prioritäten abzuwägen). Wobei natürlich ein extraglottisches Device vielleicht eine Option gewesen wäre für den Erstangriff.

Ein Videolaryngoskop ist bei hellem Sonnenlicht (Sonnenlicht kommt von hinten) aufgrund des Displays oft schlicht nutzlos (alternativ kann man sich unter einer Decke „verstecken“, wie bei alten Fotoapparaten).
Dass bei der Umlagerung keine Schaufeltrage verwendet wurde, sondern der Patient achsengerecht mit den 5-6 Leuten hochgehoben wurde sehe ich als durchaus gangbare Weg, insbesonders wenn man sich die Szene anschaut: Mitten in der Mulde eines Grabens … da stelle ich mir das Arbeiten mit einer Schaufeltrage sehr mühsam und im Endeffekt wenig schonend vor.

Was die Kommunikation anbelangt: Die traue ich mir in einem Video, wo die halbe Zeit der O-Ton ausgeschlatet und von einem Interview überlagert wird, nicht zu beurteilen. Dazu kommt noch, dass offensichtlich das Video geschnitten ist, zahlreiche Perspektivwechsel usw. Eine sinnvolle Beurteilung ist da eigentlich nicht möglich, zumal man bedenken muss, dass der Schnitt sicher auf „Action“ getrimmt ist.

Ich möchte das deutsche und österreichische Notarztwesen nicht in Frage stellen, aber sowas habe ich schon oft gesehen. Und wie so oft ist der Notarzt derjenige der es verkackt. Aber er ist der Arzt und er wird schon wissen was er macht, alle nehmen es stillschweigend hin.
Man möge sich zum Vergleich eine britische Doku anschauen. Ein System welches auf Sanitätern mit wenigen Notärzte aufgebaut ist, wo CRM schon lange gelebt wird und der Sanitäter als professionelle Fachkraft gesehen werden und als Notarzt nur die besten der besten tätig sind.
Im AT und DE halten wir die Sanis lieber klein und schicken zu jedem Pat. einen Arzt. Dann hab ich Sanis die vll nichts können und auch einer Arzt der von seinem Handwerk nix versteht. Aber immerhin, is eh ein Arzt da…

Sicher nicht pipifein abgelaufen. Bisschen Sedoanalgesie / Relaxierung wär sicher von Vorteil gewesen. Für den Patienten, dessen ICP und zum intubieren sicher auch komoter :smiley: Ich hätt mir den orangenen Zugang vorm Intubieren gestochen…
Spineboard und Beckengurt hätten jetzt den Abtransport auch nicht massiv verzögert. Wär sicher drin gewesen.
Aber nachher beim Videoschauen ist leicht reden…

Na sorry, das geht einfach ned. Man kann dazu nur sagen „Checklisten retten leben“ —> https://dasfoam.org/2020/09/19/rsi-airway-checkliste/

Im Übrigen widerspricht es allen Leitlinien. Der NA intubiert hier ohne jede Vorbereitung, ohne Zugang, ohne Narkose und ohne Monitoring einen schwerverletzten Patienten, an dessen HWS er erst kräftig manipuliert damit er fraglich effektiv beatmet (mit FiO2 0,21 (kein Reservoirbeutel am Ambu!!!) bei der „Präoxygenierung“). Alles um dann ein Stiffneck zur Intubation anzulegen.

Die Szene ist ein einziges Fehlersuchbild für einen CRM Kurs. Sollt ma archivieren. Ich kann da ned weiter zuschauen. :open_mouth:

Nicht pipifein ist gut, ich wüsste garnicht wo ich anfangen soll wenn ich die Szene analysieren soll. Ich hoffe schon, dass wir uns da einig sind, dass das von vorne bis hinten eine Frechheit ist. Widerspricht jeglichen Leitlinien und das Teamleading ist obendrein miserabel.
So könnte es aussehen:
youtu.be/66nuMPJJAUk

Hektik bringen leider viele Leute rein.

Das intubiert wurde und nicht auf SGA zurückgeriffen wurde kann ich sogar verstehen. Der Spatel kam recht blutig raus und es wurde abgesaugt. Evtl. eine Blutung irgendwoher mit Aspirationsgefahr.

Eine Frage. Ist es in DT nicht auch Standard die Einstichstelle des Venflon mit sterilem Pflaster (z.b. tegaderm) abzukleben? Es wurde im Video nur mit dem braunen Fixierpflaster befestigt.

Ich habe mir das ganze auch angeschaut und obwohl ich dagegen bin, hinterher alles zu zerpflücken (Wenn man schon vorher wüsste, was man alles hinterher weiss, hätte man jeden Samstag 6 Richtige im Lotto), muss der, der sich mit seinen Einsätzen von Kamerateams begleiten lässt, auch gefallen lassen, daß das, was da gezeigt wird, kommentiert wird.

Dieser Patient hatte offensichtlich ein Schädelhirntrauma mit GCS3, Pupillendifferenz, Verlegung der oberen Luftwege, Thorax stabil, Becken stabil, WS-Trauma (bei GCS3-Patienten nach Trauma MUSS von WS-Trauma ausgegangen werden) nicht bekannt, Kreislaufsituation nicht bekannt ( :unamused: ).

Der NA sagt im Interview noch etwas von „Schädelbasisfraktur“, wie er darauf kommt, ist mir nicht klar, hat auf die Versorgung aber eigentlich keinen Einfluss (ausser, dass die Möglichkeit eines HWS-Traumas dadurch höher erscheint).

Wegen Schädelhirntrauma und ansteigendem Hirndruck wird die Indikation zur Intubation gestellt, zur Stabilisierung der Kreislaufsituation werden 2 großlumige Zugänge gelegt.

Patient wird dann in einer Art KTW (in Leipzig haben sie einen Porsche Cayenne als NEF. Warum haben sie in Magdeburg dann RTWs, die kleiner sind, als das?) in einen Schockraum gebracht.

Was ich NICHT oder SO NICHT gemacht hätte:

  1. Patienten mit erhöhtem ICP (Hirndruck) zu hyperventilieren, ist ok. Dazu muss man aber verhindern, daß die Patienten husten, pressen. würgen, sich gegen die Intubation wehren oder gegen die kontrollierte Beatmung arbeiten.
    Sonst erhöht man den Hirndruck massiv.
    Zur Hyperventilation gehört auch die Kapnographie, die Messung des exspiratorischen CO2, UND die Messung des Blutdrucks.
    Ohne beides ist Hyperventilation keine „kontrollierte Hyperventilation“ und kann mehr schaden, als nutzen.
    Der CPP (Cerebral Perfusion Pressure/Perfusionsdruck des Gehirns) ist MAP (Mean Arterial Pressure/arterieller Mitteldruck/MAP: 2x diastolisch + 1x systolisch durch 3) minus ICP (Intracranial Pressure/Hirndruck).
    Der normale CPP ist um die 70 mmHg.
    Aus einem Blutdruck von 80/60, unter dem man normalerweise synkopiert, ergibt sich, dass ein MAP von 2x 60 + 80 durch 3: 66, 6 minus 5: etwa 60 mmHg die unterste Grenze ist, die man für den CPP toleriert.
    Bei einem Schädelhirntrauma mit Symptomen wie hier, geht man von einem ICP von über 40 aus.
    Das heisst, um einen CPP von 60 zu haben, müsste der MAP mindestens 100 sein, das wäre bei einem Blutdruck von 150/75 der Fall.
    Darunter wäre der CPP Null (0) und das Gehirn wäre tot.
    Also hyperventiliert man den Patient.
    Hyperventilation verengt die Gehirngefässe (deshalb kollabieren Hyperventilierinnen), senkt dadurch das zerebrale Blutvolumen, das Gehirn „schrumpft“, der ICP sinkt, CBF (cerebral blood flow/zerebraler Blutfluss) und damit CPP steigen, der MAP muss nicht so hoch gehalten werden und alles freut sich, alles lacht.

Aber nicht so schnell, kleiner NA:

Dem entgegen steht, dass massive Hyperventilation ihrerseits den CBF (und damit CPP) senkt (s.o.) und venöse Abflusshindernisse (Husten, Pressen, Würgen, PEEP, Stiff Necks) den ICP erhöhen (deshalb sollen nicht intubierte, nicht hyperventilierte SHT-Patienten kein Stiffneck mehr angelegt bekommen).

Zur Hypervetilation intubierte Patienten benötigen deshalb Kreislaufmonitoring (MAP IMMER über 60) und Kapnographie. Der arterielle PCO2 ist normal 40 mmHg, zum Hyperventilieren senkt man den auf 30 - 35 mmHg, nicht darunter. Die Geräte berechnen das aus der ausgeatmeten CO2-Konzentration von (normalerweise) 5%
(Manche zeigen auch diesen Wert an. Zum Hyperventilieren senkt man den auf etwa 4%).
Hypoventilation erhöht den Wert.

Was ich deshalb anders gemacht hätte:

  1. Nicht nur „5 mg Dormicum“ zur Intubation. Dieser Patient wehrt sich gegen die Intubation und man sieht noch bis zur Übergabe in den Schockraum, daß er gegen das Gerät atmet. Ich hätte ihn mit (jeweis ausreichend) Propofol und Fentanyl eingeleitet und je nachdem, was man dabei hat, mit Sicherheit mit einem nicht-depolarisierenden Relaxans (Tracrium) relaxiert.

  2. DAVOR hätte ich ein Kreislaufmonitoring angeschlossen und DANACH (zusätzlich) eine Kapnographie. Den MAP hätte ich dann über Volumengabe gesteuert (zumindest hätte ich das versucht), das AMV über die Kapnographie (dieser nicht-sedierte Patient hatte wahrscheinlich einen Blutdruck von 250/100 bei Übergabe. Den hätte ich mit Propofol und Fentanyl + Dormicum normalisiert).

  3. Die beiden großlumigen Zugänge hätte ich 1. beschickt und 2. nicht mit Deckeln verschlossen, sonst sind sie 1. sinnlos und 2. nicht zu gebrauchen, wenn man sie braucht.

  4. Einen Patienten bei Tageslicht mit dieser insuffizienten Analgosedierung mit Hilfe eines grauen Plastikeinmalspatels auf dem Laryngoskop, der, wenn er dann mal leuchtet, so hell ist, wie die 6-Volt-Beleuchtung eines alten VW Käfers, in einem Straßengaben zu intubieren, halte ich für fast unmöglich.

Diesem Patienten hätte ich einen Esmarch-Handgriff zur Behebung der Atemwegsverlegung zukommen lassen und ihn unter kontrollierten Bedingungen im Fahrzeug intubiert, unter Berücksichtigung der Kreislaufparameter und der Kapnographie und unter Einsatz suffizienter Medikamente zur Einleitung der Narkose.

Hätte es gleich passieren müssen, hätte ich ihn auch im Straßengraben „geschnorchelt“. Aber erst nach Anschluss des Monitoring und ausreichender Narkoseeinleitung.

Die Kleidung hätte ich der Person erst im Auto aufgeschnitten.

Danach hätte ich dem Materialbeschaffungs-Stewart (früher: Materialwart) gesagt, er soll diese grauen Plastikspatel wegschmeißen.

Dass man das im Straßengraben gemacht hat, weil ein Kamerateam nicht mit in diesen Mini-RTW passt, wage ich nicht zu denken.
Das wäre unethisch und hochgradig strafbar.

Zum gesamten Video bin ich jedenfalls beeindruckt, dass in dieser Stadt anscheinend definitiv kein Notarztmangel herrscht… :astonished:
Anscheinend gibt es für jeden Einsatz einen Notarzt und dieser begleitet anscheinend auch alles. :open_mouth:

Danke für den ausführlichen Post MaxxMurxx. Da ist das eine oder andere drinnen, das man sich mitnehmen kann. (y)

Aufgrund des blutigen Spatels vermute ich die Schädelbasisfraktur mit Einblutung in den Mundraum als Nebendiagnose. Bzw. meiner Meinung nach auch eine gute Begründung für die rasche Intubation im Feld.

Definitiv. Nach welchen „Abläufen“ gearbeitet wurde ist rätselhaft. Wird recht improvisiert das Ganze.

Propofol… naja… wer damit Erfahrung hat solls verwenden. Für den 0815 Notarzt beim (SH-) Trauma wohl eher mit Vorsicht zu genießen. Ist bei uns aus gutem Grund nicht mehr im Ampullarium.

Was mir sehr auffällt ist, dass das „Team“ einfach nicht mitarbeitet und mitdenkt. Es wird alles nur auf Anweisung des NA gemacht. Es gibt keine Inputs durch die Sanis. Da ist klar, dass sowas dann mal unter den Tisch fällt wenn sich nur einer auf alles konzentrieren muss. Das mit den Infusionen an die Zugänge, Kapno, etc… sind Punkte an die ein Sani einfach zu denken hat.

Die Plastikspatel leuchten ja nicht selber. Die leiten ja nur das Licht aus der LED vom Laryngoskop nach vorne. Da wirds vmtl. schon gute und schlechte geben.