Demografie, Kommerzialisierung, Freiwilligkeit: Um diese Herausforderungen für den Rettungsdienst in Österreich dreht sich heute
das Symposium „Rettung für die Rettung“ in Wien.
„Österreich hat ein bestens funktionierendes Rettungswesen“, sagt Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, anlässlich
des ersten Rettungsdienstsymposiums. „Dass gemeinnützige, nicht auf Gewinn ausgerichtete Träger diese Dienstleistung mit Hilfe von
zehntausenden Freiwilligen erbringen, hat sich seit Jahrzehnten bewährt“.
Sanitäter werden auf hohem Niveau ausgebildet, die Eintreffzeiten sind vorbildlich. Durch das dichte Netz an freiwilligen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern gibt es keine unterversorgten Gebiete.
„Die Qualität der Versorgung würde sich allerdings schlagartig ändern, wenn diese Dienstleistung nicht mehr von gemeinnützigen, sondern
von kommerziellen Trägern erbracht würde“, so der Rotkreuz-Präsident weiter. „Betriebswirtschaftliche Kennzahlen sind nicht das Maß aller
Dinge, wenn es um die Erfüllung öffentlicher, gemeinwohlorientierter Aufgaben geht. Im Mittelpunkt müssen immer die Bedürfnisse der
Menschen stehen, die Hilfe brauchen.“
Auflösung der Freiwilligkeit
Die Kommerzialisierung der Rettungsdienste sei auch eine gefährliche Tendenz für die Freiwilligkeit. „Freiwilligkeit ist etwas sehr Volatiles, die
Kommerzialisierung des Rettungsdienstes würde diese Haltung auf Dauer zerstören.“
Dieses Argument untermauern auch andere Erfahrungen aus der Privatisierung wie Heidrun Maier-de Kruiff, Geschäftsführerin des Verbandes der
Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG), ausführt: „Bei den bayerischen Eisenbahnen hat sich gezeigt, dass die erste
Ausschreibung gut funktioniert, private Anbieter günstiger sind. Aber nach ein paar Jahren, wenn die nächste Ausschreibung fällig ist, gehen die
Kosten extrem nach oben. Leider hätten sich aber im Rettungsbereich in der Zwischenzeit die Strukturen der Freiwilligkeit aufgelöst.“
Nicht gefahrene Kilometer
In einer Rotkreuz-Umfrage bestätigen über 80 Prozent der Befragten, dass sie den Rettungsdienst weiterhin gemeinnützig organisiert haben möchten.
Wie das Beispiel Berlin zeigt, verbessert eine Kommerzialisierung das Angebot nicht. In der deutschen Hauptstadt konkurrieren etwa 80 Firmen um den
Rettungsdienst, die meisten übernehmen nur den Personentransport ohne qualifizierte sanitätsdienstliche Versorgung. Befördert wird auch nur tagsüber.
In Österreich ist das Rettungssystem flächendeckend und rund um die Uhr – bis in die entlegensten Täler abgesichert. Eine Versorgung, die ohne die
tragende Säule der Freiwilligkeit und die Gemeinnützigkeit nicht möglich wäre und für gewinnorientierte Unternehmen nicht zu finanzieren. „Das teure
an dem Verbundsystem von Rettungsdienst und Sanitätsdienst ist der nicht gefahrene Kilometer“, erklärt Peter Ambrozy, Vizepräsident des Österreichischen
Roten Kreuzes und Präsident des Roten Kreuzes Kärnten.
Gemeinnützige und freiwillige Rettungsdienstsysteme sind auch ein wichtiger Teil des Bevölkerungsschutzes. „Durch die Zerschlagung des Freiwilligen-Systems
wäre die Fähigkeit gefährdet, auf unvorhergesehene Großschadensereignisse und Katastrophen rasch und wirksam reagieren zu können“, so Ambrozy. „Ohne
das Heer der Freiwilligen wäre beispielsweise die Hochwasserhilfe im Frühjahr 2013 nicht möglich gewesen. Während ein Teil der Rotkreuzhelferinnen und
–helfer im Katastropheneinsatz war, haben ihre Kolleginnen und Kollegen die rettungsdienstliche Versorgung im Land lückenlos aufrechterhalten“.
Qualität des Rettungsdienstes
„Die Versorgungsleistung beim Patienten steht im Vordergrund unseres Handels“, sagt Peter Ambrozy. „Die Leistung endet nicht an der Haustüre, unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übergeben die Patienten in ein geordnetes Umfeld oder leiten weitere notwendige Maßnahmen ein. Dies wäre in einem
kommerziellen, gewinnorientierten System kaum möglich.“
„Wir wollen eine Diskussion beenden, die nur zum Schaden der Menschen in Österreich ausgehen kann“, betont Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer.
„Denn mit der Ausschreibung von Leistungen des Gemeinwohls wird auch eine Haltung zerstört, die unserer Gesellschaft sehr fehlen würde: Mit dem freiwilligen
und gemeinnützig organisierten Rettungsdienst fallen Solidarität, Altruismus und gegenseitige Unterstützung als wichtige Werte.“
Den Wert der Gemeinnützigkeit hat der Gesetzgeber auf europäischer Ebene inzwischen erkannt. Nach Jahren des Wettbewerbsdenkens haben das EU-Parlament
und der Europäische Rat mit dem Beschluss des ‚Vergaberechts Neu‘ im Jänner 2014 ein Bekenntnis zur Gemeinnützigkeit geleistet und hervorgehoben, dass der
Rettungsdienst keine wettbewerbliche, marktfähige Dienstleistung ist.
Nationaler Spielraum
“Die EU sieht für gemeinnützig organisierte Rettungsdienste ausdrücklich eine Ausnahme vor und verlangt keine EU-weite Ausschreibung für diese
Dienstleistungen“, erklärt Heidrun Maier-deKruiff.
Die Umsetzung der neuen Vergaberichtlinie soll bis Frühjahr 2016 erfolgen. „Der Grundstein ist gelegt, jetzt gilt es, bei der Umsetzung in nationales Recht
eine Überregulierung zu vermeiden. Die Schaffung strengerer nationaler Regelungen als die von der Richtlinie geforderten, ist nicht notwendig und würde
wieder zu Lasten der Patientinnen und Patienten gehen.“